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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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schon war er weg. Im Verlaufe der 14-monatigen Untersuchungshaft lernte ich einige mehr oder weniger merkwürdige Gestalten kennen. Horst war schon etwas älter, vielleicht Mitte 40. Er wurde mir sehr schnell sehr unsympathisch und verdächtig. Gärtner sei er von Beruf, erzählte er, und habe in irgendeinem Ministerium gearbeitet und etwas in Richtung „Wirtschaftsverbrechen“ gemacht. Er machte sehr auf vertraut, ließ den Vater-Ersatz raushängen; das war mir gleich suspekt. Immer wieder versuchte er, mich auszufragen und was ich denn so genau ausgefressen habe. Ein Spitzel? Dann gab es noch einen Horst. Er war ein Armee-Offizier und erzählte erst so gut wie gar nichts darüber, weswegen er in Haft war. Später ließ er durchblicken, dass er Frau und Kind ermordet habe. Frau und Kind. Nette Gesellschaft . Er war zwar ein sehr ruhiger, aber trotzdem neugieriger Mitgefangener. In der Gesellschaft dieser beiden Typen beschränkte ich mich, was den Grund meiner Haft anging, auf das Mindeste. Sicher ist sicher. Sehr lange war ich mit den beiden zusammen, so etwa drei bis vier Monate.
    Ganz plötzlich wurde unsere Gemeinschaft gesprengt, und zwar durch ein paar neue oder auch nicht ganz so neue Mitbewohner. Wir hatten uns gerade bettfertig gemacht und hingelegt, der Wärter ging herum und löschte nach und nach das Licht in den Zellen. Wenige Minuten später, als ich schon fast am Einschlafen war, sah ich einen kleinen Schatten ganz dicht an meinem Auge vorbeihuschen. Schlagartig wurde mir bewusst, was das war. Hin und wieder hatte ich schon mal die eine oder andere Kakerlake durch die Zelle huschen sehen und gehofft, sie würden da bleiben, wo sie sind, im Dunkeln. Nun war es in der ganzen Zelle dunkel und sie kamen aus ihren Löchern und auch noch auf meine Pritsche. Eine Horrorvorstellung! Der Ekel schüttelte mich. Die Nacht war für mich gelaufen, kein Auge konnte ich schließen. Was, wenn sie immer wieder kommt, über mich vielleicht sogar rüber läuft!? War es nur eine oder doch ein paar mehr? Das Licht anmachen konnten wir ja nicht, um nachzuschauen, wo sie hergekommen war. Der Lichtschalter lag außen. Ich wurde panisch. In Abständen von wenigen Minuten ging zwar immer wieder die Kontrollleuchte über der Tür an. Aber in diesen kurzen Momenten war nichts zu sehen. Es wurde eine sehr lange Nacht. Am nächsten Tag suchten wir die Fußleisten ab, die Toilettenecke: Nichts zu sehen. Wo versteckten sich diese Biester bloß? Dann plötzlich hatte ich einen bösen Verdacht: Die Pritsche! Bettzeug und Matratze runter, die Pritsche umgedreht. Zu Hunderten saßen sie in den Ritzen. Ein schwarz-braun glänzendes Gewimmel. Die waren bestimmt nicht erst gestern dort eingezogen. Ich hatte direkt auf ihnen gelegen. Ein unbeschreiblicher Ekel stieg in mir hoch. Keine weitere Nacht in dieser Bude! Horst drückte sofort auf den Knopf, mit dem draußen ein kleines Signallicht eingeschaltet wurde. Dem Wärter, der die Klappe öffnete, machten wir sofort klar, dass wir keine weitere Nacht hier drin verbringen würden, sonst würden wir erheblichen Rabatz machen. Konsequenzen wären uns egal. Nacheinander wurden wir aus der Zelle herausgeholt. Ich wurde in eine Einzelzelle gebracht, die beiden sah ich in der U-Haft nicht wieder.
    Zwei Wochen etwa musste ich in der Einzelhaft verbringen, das war gar nicht so schlimm. Die Luft war besser, keine Raucher. Und keine merkwürdigen Fragen, auch deswegen konnte ich etwas durchatmen.
    Mein nächster Mitgefangener hieß Wolfgang und wirkte auf mich sehr harmlos, er war eher ein Netter. Erzählte sehr viel von sich, wollte wohl was loswerden, hatte aber auch eine interessante Geschichte. Er hatte in den Westen flüchten wollen. Von Beruf war er Klempnermeister und besaß ein eigenes Geschäft, was in der DDR ein Privileg war. Wegen der widrigen Umstände seiner Existenz als selbständiger Unternehmer wollte er aber dennoch weg und im Westen was Neues aufbauen. Ständig wurde er gegängelt, die Preise waren so festgelegt, dass er seine Kosten kaum decken konnte, Material erhielt er nur unter größten Schwierigkeiten, weil die großen staatlichen Betriebe bevorzugt beliefert wurden.
    Im Juni 1982, nach einem dreiviertel Jahr Untersuchungshaft, teilte mir der junge Vernehmer mit, dass das Untersuchungsverfahren nun abgeschlossen wäre, demnächst würde der Termin der Gerichtsverhandlung festgelegt werden. In dieser Zeit erhielt ich einen neuen Mitgefangenen. Wolfgang war weg, nun erschien

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