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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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Lutz. Ich war zunächst ganz erfreut, da er in meinem Alter war. Die Freude legte sich aber bald. Lutz war ein Schäfer aus Thüringen, der gerade seinen Wehrdienst bei der „Fahne“, der Nationalen Volksarmee der DDR, abgeleistet hatte. Nach einer Schießübung hatte er beim Waffenreinigen ein kleines Detail vergessen. Im Lauf seiner Kalaschnikow steckte noch eine Patrone. Dummerweise löste sich ein Schuss und ausgerechnet sein Vorgesetzter, ein Unteroffizier, stand in der Schusslinie. Er war sofort tot. Fahrlässige Tötung. Das Problem bei Lutz war, das er so unglaublich linientreu war. Sollte er noch ein bisschen Psychoterror mir gegenüber verbreiten? Es war fast unerträglich, wie er die DDR in den Himmel hob. Ständig wollte er mir erklären, wie schlimm der Westen sei; ich solle es mir doch genau überlegen, ob ich dort wieder hin wolle. Dort würden noch die Faschisten regieren und ähnlich dummes Zeug. Es war furchtbar. Mein Hinweis, ich hätte doch schon im Westen gelebt und wüsste im Gegensatz zu ihm sehr wohl, wie es dort sei, ignorierte er ganz einfach. Ich wäre ja verblendet und hätte nie die Wahrheit erkannt. Ich behandelte ihn dann ein wenig herablassend, auch zu meinem eigenen Schutz. So ein kleiner Schäfer aus der tiefsten thüringischen Provinz wollte mir die Welt erklären? War sein Verhalten von der Stasi beeinflusst? Sollte er mich terrorisieren? Ich hielt, soweit es ging, innerlich Abstand zu ihm. Wer weiß, was er noch so für Aufträge hatte! Dieses Misstrauen, das man jedem gegenüber haben muss, ist eine schlimme Erfahrung im Knast. Sich nicht einlassen können, nicht vertrauen können, nirgendwo sicheres Ufer zu finden ist auf Dauer schwer erträglich und zermürbt einen.
    Nach einigen Wochen waren wir zu dritt. Der Neue, Peter, hatte fast das gleiche Delikt wie Lutz. Auch er war bei der Armee gewesen. Der kleine Unterschied bestand darin, dass sein Opfer es gerade noch überlebt hatte. Das Schlimme bei diesem Typen war: Er war ebenso linientreu wie Lutz und versuchte auch, mich zu agitieren. Wollte die Stasi mir hier den Rest geben? Eine vernünftige Diskussion war mit den beiden unmöglich, ich beschränkte mich auf das Notwendigste, Alltägliche. Ansonsten hieß es, in innere Isolation zu gehen wie schon bei den anderen viel zu neugierigen Mitgefangenen. Warum musste ich gerade im Knast die Linientreuesten treffen? Gab es hier nur so schräge Vögel oder war das vielleicht alles Absicht?
    Lutz war der einzige, bei dem ich später erfahren habe, welche Strafe er bekommen hat. Wegen fahrlässiger Tötung wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Prozesse
     
    Nun begann das Warten auf den Prozess. Mir war vom Vernehmer schon mitgeteilt worden, dass ich im Oktober 1982 gemeinsam mit meiner Mutter vor das Militärobergericht gestellt werden würde.
    Der Prozess gegen meinen Vater wurde aus Geheimhaltungsgründen von unserem abgetrennt. Viele Dinge aus seiner Spionagetätigkeit für die DDR würden dort angesprochen werden, die wir nicht wissen durften. Unser Rechtsanwalt Dr. Vogel teilte uns den Termin am 17. August anlässlich eines Besuches mit. Angesetzt wurden der 14. bis 16. September 1982. Drei Tage sollte es also dauern, ganz schön lange. Rechtsanwalt Vogel sagte außerdem, dass mein Vater eine sehr hohe Strafe zu erwarten hätte, da sollten wir uns keiner Illusion hingeben „bei diesem Kaliber des Falles“.
    In der Stasi-Akte habe ich später ein aufschlussreiches Dokument gefunden, das etwa eine Woche vor dem Prozess meines Vaters verfasst worden ist:
    Hauptabteilung IX/5
    Berlin, 6. September 1982
    Information
     
    In der Zeit vom 14. bis 16.9.1982 findet vor dem 1. Strafsenat des Militärobergerichtes Berlin die Hauptverhandlung gegen den ehemaligen Mitarbeiter der HV A
    RAUFEISEN, Armin (53)
    1956 bis 1967 IM der HV A
    1967 bis 1981 Mitarbeiter des MfS/HV A letzter Dienstgrad: Oberleutnant, aberkannt mit Wirkung vom 15.10.1981
    unter Vorsitz des Militäroberrichters
    Gen. Oberstleutnant Warnatzsch statt.
    RAUFEISEN ist der Spionage im besonders schweren Fall, der landesverräterischen Agententätigkeit und des vorbereiteten und versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall … angeklagt.
     
    RAUFEISEN befand sich von 1957 bis 1979 als Kundschafter in der BRD im Einsatz und arbeitete auf dem Gebiet der Geologie/Geophysik. Im Januar 1979 wurde er aus Sicherheitsgründen zurückberufen und nahm Wohnsitz in der DDR.
    Die Voruntersuchung ergab,

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