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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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als anderes, was wir bei unseren Missionen erlebt haben. Aber aufpassen muß man.«
    »Ich staune«, sagte La Surie nach einer Weile, »daß ein römischer Kardinal dir den Rat gibt, zur Ablenkung den Lebemann zu spielen.«
    »Dieser Rat scheint von zwei berühmten Florentinern zu stammen: Machiavelli und Lorenzo de’ Medici.«
    »Was für ein Lorenzo?« fragte, wißbegierig wie stets, mein Miroul.
    »Ein großmütiger Bursche, der Venedig von der Tyrannei seines Cousins, Alessandro de’ Medici, befreien wollte. Um sein Vertrauen zu gewinnen, teilte er dessen Ausschweifungen, und dann erschlug er ihn.«
    »Sankt Antons Bauch!«
    »Gott sei Dank«, sagte ich, »brauchen wir nicht den Herzog von Sessa zu erschlagen: So weit gehen unsere Pläne nicht.«
    »Aber Ausschweifungen sind hierorts auch nicht so einfach«, sagte Miroul, und sein braunes Auge blitzte, das blaue blieb kalt. »Ausschweifen in Rom, beim Ochsenhorn! Mit wem denn?«
    Schöne Leserin, Sie werden sicherlich bemerkt haben, daß Giustinianis florentinischer Rat mir ja gar nicht gegen den Strich ging. Nur war er leichter anzunehmen, als zu beherzigen, denn die Römerinnen bleiben in der Öffentlichkeit derart gesondert von den Männern, daß man ihnen, sei es in einer Kutsche, auf Festen, im Theater oder in der Kirche, fast nicht nahe kommen darf, ohne Skandal zu erregen. Was um so quälender ist, als sie nicht mit einer Maske ausgehen wie unsere reizenden Damen in Frankreich, sondern ganz unverhüllt, und nicht nur ihre einschmeichelnden Augen zeigen, nein, auch bewundernswert schöne Gesichter, zugleich voller Süße und Majestät. Hinzu kommt, daß sie sehr reich gekleidet gehen; ihre Gewänder sind übersät mit Perlen und Edelsteinen, und sie schnüren ihren Leib nicht in unmenschliche Baskinen ein wie unsere eleganten Französinnen, die sich dergestalt ausnehmen wie Sanduhren und sich abgewürgt und gestelzt bewegen wie Automaten. Die Römerinnen hingegen geben sich um die Leibesmitte frei und gelöst, was ihrem Gang etwas Rundes und Wohliges verleiht, das weit mehr zum Herzen spricht.
    Bemerkenswert ist auch, daß die Italiener, seien sie gleich von höchstem Adel und sehr betucht, sich weitaus schlichter und weniger kostspielig kleiden als wir in Frankreich, dafür aber schmücken sie ihre Gefährtinnen wie Idole. Was auch kein Wunder ist. Diese Männer leben nur für die Liebe, die sie für ihre Frauen empfinden, und für das beglückende Gefühl, das ihre Schönheit ihnen schenkt, während wir in Frankreich unser Gefallen an dem lieblichen Geschlecht mit viel zuviel Ehrenpunkten und Eitelkeiten befrachten, die dem Gefühl etwas Trockenes und Kleinliches verleihen. Was dies angeht, wäre ich viel lieber Italiener als Franzose, und ich verstehe sehr gut, daß die Männer unter besagten Umständen die Eifersucht auf ihr teuerstes Gut so weit treiben, daß sie Fremden verwehren, sich ihren Gemahlinnen zu nähern, mit ihnen zu sprechen, ihre Hand zu berühren. Was diesen, wette ich, nicht immer bequem sein mag, aber wenigstens wissen sie sich geliebt. Wennich übrigens nach ihren kühnen Blicken urteile, die um so freier sind, je eingeschränkter ihr Leben ist, würde ich meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, daß sie im Innersten tugendhafter sind als die Französinnen. Aber wie sollten sie die peinliche Wachsamkeit von Vätern, Brüdern, Onkeln und Vettern überlisten, die wie Argus hundert Augen haben, von denen die Hälfte stets geöffnet sind?
    Sie sehen also, schöne Leserin, auch wenn ich »viel ausging«, nun immer in starker Begleitung, und beinahe täglich die Wunder der Ewigen Stadt besichtigte, konnte ich doch kaum den »Lebemann spielen«, weil der Lebemann vergeblich nach der Lebefrau spähte, und mußte mich jener Enthaltsamkeit von »zeitraubender« Wollust bequemen, die der reizende kleine Abbé d’Ossat Henri Quatre so naiv ans Herz gelegt hatte. Doch mit der Zeit, muß ich gestehen, hatte ich mich satt gesehen an Kirchen, Gemälden, Bildfenstern, Skulpturen und antiken Monumenten, von denen diese Stadt überquillt, so daß sich Muße genug zur Liebe gefunden hätte, hätte sich nur irgendeine Gelegenheit geboten. Ja, hätte meine Mission mich noch zu jeder Tagesstunde voll und ganz in Anspruch genommen, wie das in Reims war, aber im Augenblick bestand sie einzig darin zu warten, weil die Unterhandlungen, von denen das Schicksal meines Herrn und Frankreichs abhing, jenseits meiner Augen und Ohren abliefen, zum Teil auch

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