Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
Volkes darbot, eine Göttin, wahrhaftig, an Schönheit und majestätischen Proportionen. Ich durchmaß das Gedränge bis vor Teresas Fenster, zügelte mein Pferd und zog, in den Steigbügeln stehend, meinen Hut, mit welchem ich in der Luft eine Acht beschrieb. Worauf sie mir samt einem einverständigenkleinen Augenzwinkern jenes mehrdeutige, geheimnisvolle und so reizende Lächeln sandte, dessentwegen ich sie mit der Mona Lisa verglichen hatte. Ein Vergleich, den ich bei näherer Überlegung ein wenig bedaure, könnte der Leser doch einen falschen Eindruck gewinnen, weil die Mona Lisa ja auch etwas Beunruhigendes und vielleicht sogar Kränkliches hat, während meine Pasticciera vor Kraft und Gesundheit strotzte und mit ihren junonischen Formen weit eher der
Venus vor dem Spiegel
des Tizian glich.
    Nach diesem ersten Gruß ritt ich bis zum Ende der Straße, kehrte durch eine parallele Gasse zurück, und wenn ich nun aufs neue mit wirbelndem Hutschwenk vor ihr Fenster kam, abermals belohnt von ihrem betörenden Lächeln, zog ich einen Brief aus meinem Wams und zeigte ihn ihr von fern. Worauf sie, indem sie mir einen nun ernsten Blick aus ihren schönen, verheißungsvollen Augen sandte, die zu ihren Füßen kauernde Djemila ausschickte, mir den Brief aus den Händen zu nehmen. Obwohl meine Konjugation der Verben fehlerhaft war, liebte Teresa meine Briefe, und ich schrieb ihr einen an jedem Tag, auch wenn ich sie noch am selben Abend besuchte.
    Nach diesem Ausritt wieder daheim, setzte ich mich in ein wunderschönes, mit rotem Samt ausgeschlagenes kleines Gemach, in welchem Kardinal Giustiniani sicherlich seine Vorlieben gepflegt hatte, und schrieb bei einem kräftigen Feuer im Kamin (es war noch immer kalt) an diesen Memoiren, bis es Zeit war zum Souper. Der erste Band, der meine Kindheit und Jugend auf Burg Mespech im Périgord erzählt, 1 ist in Gänze während jenes öden römischen Winters entstanden.
    Seit Monsieur de La Surie nach Paris abgereist war, wurden Luc und Thierry für ihre Verfehlungen nicht mehr geschlagen, und merkwürdig, diese hatten dadurch nicht etwa zugenommen, ganz im Gegenteil, die Knaben bemühten sich sehr, sich mir von ihrer besten Seite zu zeigen. Die einzige Mißhelligkeit, die zwischen ihnen und mir auftrat, betraf einen häßlichen kleinen gelben Hund, den sie adoptieren wollten, der aber zu alt war, um noch dressiert zu werden, überall durchs Haus rannte und trotz der großen Bissen, mit denen die Pagen ihn fütterten, alles fraß, was ihm vors Maul kam.
     
    Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag im März es war, als ich um ein Haar diese wunderbare Welt der Wärme und der Bewegung verlassen hätte, die allein die Lebenden kennen und die ja auch die einzige ist, die sie wahrhaft kennen, denn was die ewige Glückseligkeit angeht, so haben wir darüber bekanntlich recht ungenaue Informationen. Doch ich wette, es war um den 23. März, weil ich mich später erinnerte, daß zwischen dem Tag, als ich den Fängen des Todes mit knapper Not entrann, und der Rückkehr Giovanni Francescos nach Rom am 16. April drei Wochen vergangen waren. Ich bin mir sogar gewiß, daß es an einem Dienstag war, weil die Nacht des Dienstags wie die des Freitags den bekannten Wonnen gehörte. Und wenn ich mich morgens beim Erwachen entsann, daß wir Dienstag hatten, erschien mir die Welt gleich saftiger und leuchtender, und ich sprang aus dem Bett wie ein Füllen auf die Weide.
    Trotzdem versäumte ich meine täglichen Übungen im Fechten und in italienischer Übersetzung nicht, nur daß ich nicht ganz bei der Sache war. Fra Filippo, der den Grund erriet, machte darüber schmunzelnd seine Späßchen, anders mein Waffenmeister Andrea Di Giorgio, der mich dafür mit strenger Miene tadelte, Erbitterung in den tiefliegenden schwarzen Augen und im asketischen Gesicht.
    »Signor Marchese«, sagte er, die Klinge senkend, nachdem ich ein paarmal schlecht pariert hatte, »mit dem edlen Waffenspiel ist es wie mit der Messe für den Priester: Besser, er liest sie nicht anstatt mit abwesendem Geist.«
    So priesterlich sah Pissebœuf das Scharmützel der Pagen mit dem Stockdegen nicht, ihm ging es darum, daß sie nur wacker drauflosschlugen oder aber sich gehörig deckten, und wo nicht, schimpfte er mit derbem Witz, was der häßliche kleine Hund, der mir bereits einen Stiefel zerfetzt hatte und den die Pagen Tibère riefen, mit dem tollsten Gekläff begleitete. So floh ich schleunigst aus dem Waffensaal, hin zu meinem Zuber, wo

Weitere Kostenlose Bücher