Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
flehte und verklagte sich wie untröstlich ihrer Schuld.
Dieses Gebet dauerte gute zehn Minuten, was für eine Reue kurz sein mag, für meine Erwartung aber lang war. Endlich nun meinte sie Vergebung gefunden zu haben, bekreuzigte sich,trocknete ihre Tränen und kehrte zurück ins Bett, um die Liebe an dem Punkt wiederaufzunehmen, wo sie unterbrochen worden war.
Als sie neben mir schlummerte – für eine kurze Weile, denn unersättlich erwachte sie bald wieder wie Phönix aus der Asche –, entsann ich mich, daß sie die anderen Male, bevor sie mit mir schlief, stets das kleine Marienbild abgenommen, geküßt und der Mamma übergeben hatte. Doch ich war nie hinter den Sinn dieses Ritus gekommen, der, wie ich erst an diesem Abend begriff, darin bestand, daß sie ihren Katholizismus für eine Nacht ablegte und Heidin wurde.
Müßig und nutzlos, wie ich mich fühlte, ohne jede Nachricht von d’Ossat noch von Kardinal Giustiniani und selbst von Fogacer, weil die Verhandlungen seit Giovanni Francescos Aufbruch vermutlich auf Eis lagen, bemühte ich mich, mir das römische
far niente
durch einen geregelten Tagesablauf erträglicher zu machen.
Ich stand Punkt sieben Uhr auf, und nach schmalem Morgenimbiß focht ich über eine Stunde mit dem Waffenmeister Andrea di Giorgi, der mich als Schüler anzunehmen geruhte, weil er gehört hatte, daß Giacomi mein Lehrer und Schwager gewesen war und mich in das Geheimnis der Jarnac-Finte eingeweiht hatte, das ich nach dessen Tod nun als einziger auf der Welt noch besaß.
Nach meinen Übungen mit Andrea schaute ich – ohne mich anders denn mit einem Wort hier und da einzumischen – den Lehrstunden zu, die Pissebœuf den Pagen Luc und Thierry im Stockfechten erteilte, um sie zum Kampf zu rüsten. Dann badete ich in meinem Zuber, in wohlig warmem und klarem Wasser, das, Gott sei Dank, nicht aus dem Tiber stammte, sondern aus meinem hauseigenen Brunnen. Während ich mir’s dort wohl sein ließ, stutzte mir Poussevent mit unglaublich leichter Hand, wie man es oft bei dicken Männern findet, mein Bartkollier und rasierte mir reinlich die Wangen.
Um neun Uhr erschien mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerks Fra Filippo, ein gelehrter Mönch und mein Mentor in italienischer Sprache und Literatur, und übersetzte mit mir das
Decamerone
des Boccaccio, ein Werk von »betrüblicher Frivolität«, wie er sagte, das der gute Mönch aber gleichwohl als reinsteQuelle italienischer Prosa schätzte. Nach dem Übersetzen stellte er mir allerlei ergötzliche Fragen zu der Novelle, mit der wir uns beschäftigt hatten – der Frate war nämlich ein durchaus fröhlicher und witziger Geist –, und korrigierte meine grammatischen Fehler, meistenteils in der Konjugation der italienischen Verben, denn da haperte es bei mir.
Um zehn Uhr schlürfte ich eine Gemüsebrühe, die mein florentinischer Koch extra für mich bereitete, dann schrieb ich einen langen Brief an Teresa, und nach einem Rundgang durch den Garten, wenn das Wetter es erlaubte, setzte ich mich zu einem diesmal von Pissebœuf aufgetragenen, gehaltvolleren Mahl in Gesellschaft von Luc und Thierry, denen ich in La Suries Abwesenheit diese Ehre gönnte. Und gut entsinne ich mich, daß ich sie eines Tages lehrte, mit einer Gabel zu essen, was ihnen vom Elternhaus her noch völlig unbekannt war, so herrschaftlich dieses auch bei beiden war.
Nach dem Mahl zog ich mich zum Lesen zurück. Da mein Montaigne sich leider noch in Händen des päpstlichen Zolls befand, las ich, hin und wieder ein Wörterbuch konsultierend, den
Orlando furioso
des Ariost, voller Bewunderung, wie fein und leicht dieser geistvolle Schriftsteller seinen Stoff behandelte und sich liebevoll darüber lustig machte, ohne sich ihm je zu versklaven.
Um drei Uhr begann ich, Toilette zu machen, und ich gestehe ohne Scham, schöne Leserin, daß ich darauf durchaus nicht wenig Zeit verwandte. Dann dauerte es noch eine halbe Stunde, bis meine Pagen mir mein schönstes Pferd, gesattelt und geputzt, vorführten. Im Hof stand meine Eskorte bereit, die Tiere wieherten und stampften, doch ging ich erst noch ein paar Worte mit jenem wechseln, der meinen Torstein »zierte«, ehe ich mich auf meine Stute schwang. Luc hielt mir den Steigbügel.
Schlug es von San Giovanni in Laterano vier, war ich auch schon auf der Straße der Pasticciera, um den Moment nicht zu verpassen, wenn Djemila das Fenster ihrer Herrin öffnete und diese in ihrem prächtigsten Schmuck sich der Anbetung allen
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