Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Mann Kavallerie, mit welchen dieser über Nacht von Doullens bis vor Amiens marschierte. In der Frühe schickte er als Bauern verkleidete Soldaten aus, die mit einem Karren voll Fleisch und Obst am Monstrecut-Tor Einlaß verlangten und erhielten. Und als besagter Karren unter dem hoch aufgezogenen Fallgatter hindurchfuhr, öffnete einer der Soldaten den Sack Nüsse, den er auf dem Kopf getragen, so daß viele Nüsse zu Boden fielen. Die armen Torhüter konnten der Verlockung nicht widerstehen, hockten sich nieder, sie aufzulesen und sich die Taschen zu füllen. Das nützte der Soldat, der den Karren führte, die Pferde aus dem Gespann freizulassen, diese liefen los, und der Karren blieb unterm Fallgatter stecken, man konnte es nicht mehr niederlassen. Die armen Wachen waren schnell zusammengehauen, das Gros der Spanier kam aus seinen Verstecken im Gelände gelaufen, und keine halbe Stunde, da waren Tore und Türme, die Festung, die Kirchen, Plätze und Kreuzungen besetzt, große Beute an Kanonen und Munition gemacht und die Bürger von Amiens so erbarmungslos erpreßt, ihr Leben um Lösegeld freizukaufen, daß die Toren, die sich die Kosten einer kleinen Garnison hatten sparen wollen, im Handumdrehen alles verloren.
Aber der König vergeudete keine Zeit mit Barmen und Jammern, wie ich soeben mit dem Erzählen dieser Geschichte. Er benannte die Tatsache und schwieg, nun erwartete er das Wort Rosnys und der Räte, mochten sie zeigen, wie fest und treu sie zu ihm standen nach dem bösen Schlag. Und zumindest Rosny enttäuschte ihn nicht.
»Nun, Sire!« sagte er mit heller Stimme, »was hilft es, andere zu schmähen oder sich selbst zu beklagen. Amiens ist gefallen. Also muß es wieder genommen werden! Grämt Euchnicht, Sire! Sammelt den Heerbann Eures Adels, und schwingen wir unseren Hintern in den Sattel!«
Ich stimmte ihm bei, und mit einiger Verzögerung erklärten die Räte sich ihrerseits für die Haltung Rosnys, mochte auch zweien oder dreien, deren Namen ich nicht nennen will, Frankreichs Unglück nicht so ungelegen kommen, weil sie im Grunde noch immer ligistisch und spanisch fühlten. Der König maß sie alle mit scharfem Blick, scheinbar mit ihrer Einmütigkeit zufrieden, doch vermerkte er die Nuancen sehr wohl.
»Dank, meine Freunde!« sagte er mit jener Beherztheit, die nur ihm eigen war. »Mit Tagesanbruch geht es los. Die Städte um Amiens müssen schnellstens beruhigt und gesichert werden, damit ihnen nicht das gleiche Schicksal droht.«
Und zur Marquise de Montceaux gewandt, die leise schluchzte, setzte er hinzu: »Liebste, ich war lange genug König von Frankreich, jetzt heißt es wieder König von Navarra sein.« Womit er er auf die Jahre anspielte, in denen er, gleich einer Schildkröte im Panzer, mehr Zeit zu Pferde als im Bett verbracht hatte, falls von Bett überhaupt die Rede sein konnte, und über Berge und Täler gestoben war, um sich seiner Haut zu erwehren.
Vor dem Aufbruch in den neuen Krieg nahm Henri sich jedoch die Zeit, sich mit Rosny und mir im Vertrauen zu beraten und eine folgenreiche Entscheidung sowohl für besagten Krieg als auch für die Zukunft des Reiches zu treffen: Er übertrug Rosny die Verwaltung seiner Finanzen, war er doch tief abgestoßen davon, wie Herr von O und andere sich auf seine Kosten die Taschen gefüllt hatten. Nachdem er berechnet hatte, daß er hundertfünfzigtausend Ecus im Monat benötigen würde, um die gewaltige Armee zu unterhalten, die er um die Mauern von Amiens zusammenziehen mußte, und weil der königliche Schatz erschöpft war – seine Schatzmeister kamen ihn teurer zu stehen als die Marquise de Montceaux –, erteilte Seine Majestät Rosny die Befugnis, alle Mittel und Wege auszuschöpfen, um aus dem Land soviel Geld zu ziehen wie möglich. So wurde denn auf eine alte, sehr alte Methode zurückgegriffen, die Heinrich III. verdammt, dann aber selbst benutzt hatte und die darin bestand, sowohl in Paris als in den Provinzen und Regionen die königlichen Ämter auf drei Jahre meistbietend zu verkaufen. Ein bedauernswerter Mißbrauch, welcher der Korruption imStaat Tür und Tor öffnet, versteht es sich doch von selbst, daß einer, der sein Amt auf drei Jahre teuer erkauft hat, zum Beispiel ein Richter, sich schleunigst an den von ihm Abhängigen schadlos halten wird.
Was mich angeht, so wurde mir die heikle Aufgabe zuteil, Geschütze, Munition, Nahrungsmittel und Gelder allmonatlich oder gar zweimal im Monat von Paris nach Amiens zu
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