Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Livree säubern.«
»Herr Marquis«, sagte er, »dafür leg ich mich eine Stunde lang in die Scheiße«, und tat es.
Ich spitzte die Ohren, um zu hören, was hinter der Barrikade beschlossen wurde, und auch rückwärts zu lauschen, ob nicht endlich das Hufgetrappel unserer Eskorte ertönte. Sankt Antons Bauch, dachte ich, wie kann Miroul mich in so abscheulicher Gefahr sitzenlassen! In dem Moment prasselte der Regen doppelt so heftig, und mir wurde um unsere Zünder bang.
»Monsieur«, flüsterte der Kutscher uns zu, »jetzt ziehen sie die Karren beiseite!«
»Sie wollen an die Pferde und die Karosse holen. Kannst du zielen?«
»Es geht.«
»Stütz deine rechte Hand mit dem linken Arm, aber schieß nur, wenn das Ziel sicher ist. Und triff nicht die Pferde.«
Dann war auf beiden Seiten so tiefe Stille, daß man die Musik aus dem Hôtel Biron und helles, fröhliches Frauenlachen hörte. Beim Ochsenhorn! dachte ich: Da tanzen sie, und uns geht es ans Leben!
»Biron, zu Hilfe!« schrie ich aus aller Kraft.
»Monsieur«, sagte hohnlachend der Lange, »Ihr glaubt wohl nicht sehr an Eure Eskorte!«
»Du wirst schon sehen«, gab ich zurück.
»Ich, ja, aber nicht Ihr, Monseigneur. Bis dahin machen wir Euch zu Venezianer Spitze.«
»Abwarten!«
»Monsieur«, flüsterte der Kutscher, »ich sehe zwei Beine zwischen den Hufen.«
»Dann schieß!«
Zwei Schüsse krachten gleichzeitig, seiner, der den Pferdedieb streifte, und meiner, der den Langen traf. Im selben Moment erdröhnte hinter uns das Pflaster von scharfem Galopp,und ein Geschrei ertönte, daß unsere Schnapphähne auseinanderstoben wie Küken im Hühnerhof, einer lag tot, dem anderen blühte der Strick.
»Beim Ochsenhorn, Chevalier!« rief ich, »warum so spät?«
»Und warum, bei allen Teufeln, verlaßt Ihr das Haus ohne Eskorte?« gab La Surie außer sich vor Wut zurück.
Es dauerte noch einmal eine ganze Weile, bis Beringuen mit dem vom Tanzen erhitzten Rosny aus dem Hôtel Biron kam. Und als wir an der Wache des Louvre anlangten, empfing uns Monsieur de Vic mit vorwurfsvollem Gesicht, lang wie Fasten.
Wir fanden den König, wie er, nur im Schlafrock, mit besorgter Miene, die Hände auf dem Rücken verschränkt, in seinem Gemach hin und wider stapfte; auf einem Sessel, die blonden Haare gelöst, saß, dicke Tränen weinend, die schöne Gabrielle, Marquise de Montceaux; und aufgereiht längs der Wand standen still und stumm ein Halbdutzend Räte Seiner Majestät. Doch was mich beim Eintritt am meisten frappierte, war das tiefe Schweigen in dem kleinen Raum, das nur durch das Geräusch von Henris Hausschuhen auf dem Parkett gestört wurde.
»Ha, Rosny! Ha, Siorac!« sagte er innehaltend, mehr sagte er aber nicht, so als fehle ihm der Atem.
Und als wir nacheinander vor ihm ins Knie fielen, behielt er Rosnys Hand in der seinen und legte seine andere Hand darauf.
»Ha, mein Freund! Welch ein Unglück! Welch furchtbares Unglück! Amiens ist gefallen!«
»Amiens!« rief Rosny. »Eine so große und mächtige Stadt, so dicht vor Paris! Aber, Sire, wie konnte das geschehen?«
»Ja, ja!« sagte der König. »Es ist eine Strafe des Himmels! Diese ach so armen Leute von Amiens, da haben sie die kleine Garnison abgelehnt, die ich ihnen geben wollte, und haben sich so schlecht geschützt, daß sie nun verloren sind.«
Mehr sagte der König für den Augenblick nicht, und was ich nachher darüber erfuhr, das will ich dir, Leser, erzählen, um dir wie immer ein Licht aufzustecken.
Als Amiens, das ligistisch gewesen war, sich dem König ergab, stellte es die Bedingung, daß keine königliche Garnison in seine Mauern verlegt würde, sowohl aus Knauserei (man wollte nicht für den Unterhalt dieser Truppe aufkommen) als auch aus eifersüchtigem Beharren auf der städtischen Selbständigkeit, wie man sie überall antrifft im Reich. Unsere guten Bürger wollenvom König beschützt werden, aber nicht dafür zahlen. Schlimmer noch, um die Mühsal der Wache nicht selbst auf sich zu nehmen, hatten die Bürger von Amiens diese lästige, undankbare und eintönige Aufgabe den Ärmsten der Stadt übertragen. Doch leider wird ein armer Hund nicht zum Soldaten, wenn man ihm einen Helm aufstülpt und eine Pike in die Hand drückt. Die Folge hat es bewiesen.
Kardinal Albert, Befehlshaber der spanischen Armee im nahen Flandern, der durch die in der Stadt verbliebenen Ligisten um diese Schwäche wußte, gab Hauptmann Hernantello fünftausend Mann Fußvolk und siebenhundert
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