Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
der König, »was meint Ihr?«
Der dicke Herzog, der bis jetzt geschwiegen hatte, hielt die schweren Lider halb gesenkt und sah aus wie eingeschlafen.
»Der Kardinal«, sagte er mit langsamer, dumpfer Stimme, »hat in Flandern viele Truppen und gute Generäle. Er kann einen Teil in Flandern lassen, unter anderem Kommando, und mit den übrigen angreifen.«
»Das ist wahr«, sagte der König. »Aber weder seine Kavallerie noch seine Artillerie kommt der unseren gleich. Und das weiß er.«
»Trotzdem, Sire«, sagte Mayenne, »wir haben die Seite von Amiens unbefestigt gelassen, die nach dem Inneren Frankreichs hin liegt.«
»Weil die Seite von der Somme verteidigt wird«, sagte Biron mit seiner gewohnten Überheblichkeit.
»Die Somme läßt sich auch überqueren«, entgegnete Mayenne.
»Und wie«, fragte Montigny, »schafft man aus Flandern die dazu nötigen Kähne und Pontons heran?«
»Auf Karren«, sagte Saint-Luc.
»Die den Marsch beträchtlich verlangsamen würden«, sagte Biron.
Der Disput ging eine Weile so weiter, ohne daß Seine Majestät daraus eine Schlußfolgerung zog. Der Eindruck aber, den ich gewann, der ich als stummer und ehrerbietiger Zuhörer mit vier, fünf anderen längs der Zeltwand stand, war der, daß, außer vielleicht Mayenne – der seine Ansicht aber zu umständlich und schwerfällig ausgedrückt hatte –, alle anderen dachten, auch wenn Kardinal Albert käme, würde er, wie der Herzog von Parma vor Laon, seine Stärke nur zeigen, aber nicht gebrauchen. Und dabei schien Mayennes Zurückhaltung mir auch vornehmlich nur daher zu rühren, daß er die paar Truppen befehligte, die auf der nach Frankreich hin liegenden Mauerseite von Amiens verteilt waren, um Ausfälle der Belagerten abzuschlagen, ohne sich indes auf Gräben, Schanzarbeiten und andere Befestigungen stützen zu können. Eine erstaunliche Unterlassung, wenn man es recht bedachte.
Als ich das Wesentliche dieser Debatte La Surie wiedergab, war auch er baß erstaunt, daß diese kriegserfahrenen Männer den festen Glauben hegten, Kardinal Albert werde nicht angreifen, so als müßte die Belagerung von Amiens unbedingt genauso verlaufen wie die Belagerung von Laon und der Kardinal sich in allen Punkten verhalten wie der Herzog von Parma.
»Für mein Gefühl«, sagte La Surie, »ist es Leichtsinn, sich in Sicherheit zu wiegen, anstatt alle unterschiedlichen Hypothesen zu erwägen. Und ein schwerwiegender Fehler ist es, daß Amiens nicht vollständig umzingelt und die nach Frankreich hin gelegene Seite nicht befestigt wurde im Verlaß darauf, daß die Somme eine Grenze bildet und daß der Transport von Kähnen und Pontons den Marsch des Kardinals verlangsame. Als ob der Spanier, der fünf Monate bis zum ersten Scharmützel gewartet hat, sich vor Langsamkeit scheute!«
In Gesellschaft von Monsieur de Rosny traf ich am ersten September mit einem neuen Geleitzug vor Amiens ein, und am Tag nach unserer Ankunft hörten wir, daß der spanische Hauptmann Hernantello – der ein halbes Jahr zuvor Amiens genommen hatte – durch einen Arkebusenschuß von unserer Seite getötet worden war, und zwar als der Feind auf ungeschütztem Gelände Zelte aufschlug, um seine Soldaten unserem Blick zu entziehen. Eine unglückliche Idee, weil unsere Geschütze die Zelte sogleich unter Feuer nahmen. Wie wir durch Spione erfuhren, verstörte Hernantellos Tod die Belagerten sehr. Er sollein kleiner Mann mit großem Geist und kühnem Mut gewesen sein.
Kurioserweise paßte diese Beschreibung auch auf Monsieur de Saint-Luc, der in jungen Jahren einer der Herzliebsten Heinrichs III. gewesen war und seit der Ermordung das Königs tapfer und treu seinem Nachfolger diente, so daß er von diesem zum Großmeister der Artillerie ernannt worden war. Saint-Luc, der mein Alter hatte, es aber nicht zugab, war ein wunderbarer Gefährte, schön und tapfer wie der Erzengel Michael, ein feiner und reger Kopf und allseits sehr beliebt.
Als er uns, Monsieur de Rosny und mir, an jenem vierten September im Lager vor Amiens begegnete, sagte er, unter zierlichen Verwünschungen und mit der lispelnden Aussprache, die bei den einstigen Günstlingen Heinrichs III., wie auch bei meinem Quéribus, in Mode geblieben war, er gehe jetzt in die Gräben, um seine Kanonen zu inspizieren.
»Bei meinem Gewissen!« sagte er, die Hände in die Wespentaille legend, »es ist undenkbar, mehr Kanonen als wir zu haben noch sie besser aufzustellen! Man möchte sterben!«
Ein Ausdruck, der
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