Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
und nicht der Nation.«
»Ach, mein Miroul«, versetzte ich, »das ist wohl wahr, aber wie hätte ich ablehnen sollen? Ist es meine Schuld, daß die Herzogin von Beaufort mitten im großen Krieg ihren kleinen Krieg führt? Und wie könnte ich, ein einzelner, die Welt ändern, wo Männer die Dinge regieren und Frauen die Männer?«
Am Freitag, dem 19. August, nachdem ich am Tag zuvor mit einem besonders großen Lastzug eingetroffen war, stellte ich mich, bevor ich den Rückweg antrat, auf des Königs Geheiß um sechs Uhr früh in seinem Zelt ein, doch er war noch zu Bett und überaus müde, weil er in derselben Nacht zweimal durch Alarm geweckt worden war, der sich nachträglich jeweils als falsch erwiesen hatte. Und während er mir eine mündliche Botschaft an Monsieur de Vic, Gouverneur von Paris, mit auf den Weg gab, erscholl vom Eingang des Zeltes her plötzlich Lärm. Henri schickteeinen Pagen hinaus, die Ursache zu erkunden, und dieser meldete ihm, ein Carabin, ganz staubbedeckt, verlange mit vielem Getöse, ihn zu sprechen, denn er habe im Dorf Quirieu eine starke Abteilung feindlicher Kavallerie gesehen. Und so ungläubig Seine Majestät es auch vernahm – immerhin war er in dieser Nacht schon zweimal durch falschen Alarm geweckt worden –, spitzte er bei dem Namen Quirieu doch die Ohren, denn besagtes Dorf lag keine zwei Meilen von seinem eigenen Quartier.
Der Carabin wurde also ins Zelt eingelassen. Weil ich meine schöne Leserin bei diesem fremden Begriff aber die hübsche Stirn runzeln sehe, beeile ich mich zu erklären, daß die Carabins in unserem Heer eine Art berittener Arkebusiere waren, deren Panzer auf der rechten Schulter eine Einkerbung hatte, um die lange und schwere Büchse anzulegen, die sie am Band auf dem Rücken trugen. Die Carabins werden zur Sicherung eines Rückzugs eingesetzt oder um Hinterhalte zu legen, manchmal schickt man sie auch beim Kampf in kleinen Trupps als erste ins Feuer, und trotz ihrer verschiedenen Aufgaben stehen sie nicht im besten Ruf, vielmehr gelten sie als ausgemachte Marodeure, Beutegeier und Abenteurer.
All diese Bezeichnungen hätten gut auch auf den befremdlich und verwegen anmutenden Schlaks gepaßt, der sich erkühnte, den König um sechs Uhr in der Frühe zu wecken, um ihm zu sagen, er habe in Quirieu den Feind gesehen. Und es sehr gebrochen zu sagen, denn weil er gebürtiger Hesse war, sprach er einen Mischmasch aus Französisch und deutscher Mundart. Doch er beteuerte mit so vielen »mein Gott!«, daß er die Wahrheit sage, und setzte hinzu, wenn er lüge, so wolle er glattweg gehängt werden, daß der König ihm schließlich glaubte und trotz aller Müdigkeit zu Pferde stieg, gefolgt vom Herrn Rittmeister, mir und einigen anderen Edelleuten. Auf dem Weg nach Quirieu passierte Henri das Quartier der Carabins, befahl ihnen, schnellstens aufzusitzen und ihm zu folgen, und als zwei Kameraden die Angabe des ersten Carabins bestätigten, ließ Henri den Konnetabel von Montmorency benachrichtigen, er möge wecken lassen und alles für einen Angriff bereitstellen, und Biron und Montigny, sie sollten ihm sofort mit leichter Reiterei nachkommen. Und als diese eintrafen, verfügte der König über hundertfünfzig Carabins und zweihundert Mann leichte Kavallerie, Montigny aber fand, das sei wenig.
»Es reicht, um zu erkunden, wieweit die anderen erkundet haben«, sagte der König.
Denn er dachte ja nicht, daß es ernst würde, weil das Tohuwabohu unserer sich in Kampfbereitschaft versetzenden Armee rings einen solchen Lärm verbreitete, daß Henri auch nicht den Schwanz einer spanischen Abteilung mehr in Quirieu vorfinden würde. Das hieß jedoch nicht mit der legendären Langsamkeit des Feindes rechnen, die in diesem Jahrhundert die Ursache all seiner Niederlagen war, zu Wasser wie zu Lande.
»Ist es nicht eigentlich unfaßlich«, sagte Montigny nach dem Angriff, »daß sie, nachdem sie Amiens genommen haben, fünf Monate haben verstreichen lassen, um es zu entsetzen, so daß Henri Zeit genug hatte, unser aller Mut aufzurichten, Gelder zusammenzukratzen und eine schlagkräftige Armee aufzustellen?«
Das war die Wahrheit, denn so lange sie brauchten, um anzugreifen, ihre Vorteile auszunutzen und unsere Positionen auszukundschaften, so lange brauchten sie auch, nachdem sie sie ausgekundschaftet hatten, sich zurückzuziehen. Leser, höre und staune: Zwischen dem Moment, da besagter Carabin gemeldet hatte, daß er sie gesichtet habe, und dem Moment, da der
Weitere Kostenlose Bücher