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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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II. dort nicht sehen, weil er schon nach dem Escorial, seiner Sommerresidenz, gereist sei, wohin der Kammerherr mich am nächsten Tag um neun Uhr begleiten werde. Und schon um acht, kaum hatte ich meine Toilette beendet und mich zu einem Imbiß niedergesetzt, wurde mir der Besuch von Don Luis gemeldet, der mich, sobald wir allein waren, in die Arme schloß und mir, wer weiß wie oft, auf Schultern und Rücken klopfte. Sein Empfang wärmte mir das Herz, denn Don Luis hatte mir von Anfang an gefallen, und ich war seinerzeit sehr betrübt gewesen, daß er mir bei der Pasticciera so frostig begegnete, als ich ihn auf den Giftanschlag hin ansprach, dem ich in Rom beinahe zum Opfer gefallen wäre. Doch gab er mir hierzu gleich von selbst eine Erklärung.
    »Ha, Monsieur, mein Freund«, sagte er, »wie bin ich froh, Euch hier zu sehen und endlich sagen zu können, daß ich an jenem letzten Sonntag bei der Pasticciera mich nur deshalb so distanziert gegen Euch verhielt, weil einer von uns sechs vom Herzog von Sessa bezahlt war und ich nicht frei reden konnte.«
    »Ach!« rief ich. »Könnt Ihr jetzt sagen, wer es war?«
    »Einer der beiden Monsignori.«
    »Gebenedeite Jungfrau! Und welcher?«
    »Piero, der blondere von beiden.«
    »Hatte der es nötig, sich kaufen zu lassen? Es hieß doch, er sei sehr reich!«
    »Manche kriegen eben nie genug.«
    »Und hat das Herrchen jemals erfahren, daß es Doña Clara war, die Teresa vor dem Anschlag auf mich gewarnt hatte?«
    »Nein.«
    Nach diesem »Nein« trat zwischen uns ein Schweigen.
    »Wie geht es Doña Clara?« fragte ich, so natürlich ich konnte.
    »Ihr seht sie morgen im Escorial. Sie ist Ehrendame Ihrer Königlichen Hoheit, der Infantin Clara-Isabella-Eugenia, geworden.«
    »Ich wette, sie ist sehr glücklich über diese Erhöhung?«
    »Ganz und gar nicht. Je mehr sie von der hohen Welt sieht, desto mehr widerstrebt sie ihr. Sie will in ein Kloster gehen. Manche sagen:
Es de vidrio la mujer.
1 Aber ich würde eher sagen , Doña Clara ist aus Stahl.«
    Worauf ich lächelte und schwieg, denn was sollte ich dazu sagen?
    »Ich kann mir denken«, fuhr ich fort, »daß der spanische Hof sehr anders ist als der unsere in Paris.«
    »Ein Hof«, versetzte Don Luis lächelnd, »ist ein Chamäleon. Er nimmt immer die Farbe desjenigen an, dem er dient. In Paris, hört man, ist er lustig und witzig. In Madrid ist er streng und wie erstorben. Jeden Tag, den Gott werden läßt in diesem Tal der Tränen, geht Felipe II. schwarz gekleidet. Man sagt, er trägt Trauer um sein eigenes Dasein. Übrigens hat er diese Manie von seinem Vater. Karl V. hat vor seinem Tod eine Generalprobe seiner eigenen Beerdigung abgehalten.«
    »Mir beginnt zu schwanen«, sagte ich, »daß ich dieses hellblaue Seidenwams heute besser nicht angelegt hätte.«
    »Ich wagte nicht, es Euch zu sagen«, erwiderte Don Luis, »aber in unserem düsteren Escorial würde die helle Farbe schreiend wirken … Nehmt doch lieber den nachtblauen Anzug, den ich dort auf Eurer Truhe liegen sehe.«
    »Samt im Juli!«
    »Ihr werdet nicht drin umkommen vor Hitze: Der Escorial liegt in fünfhundert Klafter Höhe 1 und wird vom Nordwind gekühlt. Und«, setzte er hinzu, indem er mit seiner langen, schmalen Hand das Goldene Vlies an seiner Brust berührte, »nichts würde Euch an unserem Hof mehr Gewicht und Bedeutung verleihen, als wenn Ihr das schöne Kollier mit dem Kreuz anlegtet, mit dem ich Euch einmal bei der Pasticciera sah.«
    »Ihr meint den Heilig-Geist-Orden?«
    »Ebenden«, sagte Don Luis. »Und betont nur recht laut und deutlich den Heiligen Geist! Ihr wiß doch, wir Spanier sind so katholische Katholiken, daß uns sogar der Papst bisweilen als Ketzer erscheint … Monsieur, mein Freund, kleidet Euch nur erst um, ich warte.«
    Ich ließ mir nebenan von Luc beim Umziehen helfen, und als ich fertig war, ging ich wieder zu Don Luis.
    »Marqués«, rief er bei meinem Anblick, »wahrhaftig, jetzt gleicht Ihr beinahe einem Spanier in Eurem dunklen Samt! Und das Kollier macht Euch fast zu einem Kirchenmann! Aber Eure Miene paßt nicht zu dem Gewand. Ihr seht aus, als wärt Ihr glücklich zu leben.«
    »Das bin ich auch!«
    »Aber zeigen dürft Ihr es nicht!« rief lachend Don Luis. »Hier hat man das Leben als einen Kalvarienberg anzusehen, den Körper als Lumpenhülle, und wichtig am Leben ist nur der Tod. Dies alles muß Eure Miene durch gottesfürchtige Würde und einen gewissen Dünkel ausdrücken.«
    »Warum Dünkel?«
    »Da

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