Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Ihr selbst Euch für nichts erachtet, sind alle anderen noch weniger als nichts. Übrigens sind Frömmler immer voll Verachtung für andere: Habt Ihr das nicht schon beobachtet? Ach, und darf ich Euch noch warnen, mein Freund, die Damen an unserem Hof nicht auf französische Weise zu beäugen?«
»Mein lieber Don Luis«, rief ich, »Ihr wollt mir doch nicht weismachen, daß es am spanischen Hof keine Liebesgeschichten gibt?«
»Es gibt sie, aber sehr verborgen, und meistens enden sie unglücklich. Ah, ein letztes Wort! Stellt den Herrn Abbé Fogacernicht als Euren Kaplan, sondern als Euren Beichtiger vor. Die Granden am Hof haben alle einen Beichtvater, der ihnen nie von der Seite weicht, um ihre Seelen alle Augenblicke von den Beschmutzungen des Lebens reinzuwaschen. Dem König folgt auf Schritt und Tritt Fray Diego de Yepes; dem Kronprinzen Fray Gaspar de Córdoba, der Infantin Clara Isabella Eugenia Fray García de Santa Maria. Mein Beichtiger – denn wie könnte ich als spanischer Grande auf einen verzichten? – wartet in Eurem Vorzimmer und macht sich sicherlich große Sorgen, daß alle Sünden, die Ihr vom französischen Hof mitbringt, mich anstecken könnten.«
»Don Luis«, sagte ich lachend, »Ihr erstaunt mich! In Rom spracht Ihr über diese Dinge nicht so frei.«
»In Rom war ich von Spionen umgeben und stand unter der strengen Vormundschaft des Herzogs von Sessa.«
»Was ist aus dem Herzog geworden?«
»Da er die Absolution Eures Königs durch den Papst nicht verhindern konnte, ist er in Ungnade gefallen. Wie ist es, Monsieur, mein Freund, droht Euch auch Verbannung, wenn Eure Mission scheitert?«
»Aber nein.«
»Ha!« sagte Don Luis, »dann bin ich erleichtert, denn sie wird sehr wahrscheinlich scheitern.«
»Wieso?« rief ich beunruhigt. »Hat Felipe so viel gegen unsere Sicht der Dinge?«
»Sagen wir, das Leben hat etwas dagegen: Er stirbt.«
»Was? Dann kann er mich gar nicht empfangen?«
»Ich bezweifle es.«
»Mein Gott!« sagte ich entgeistert, »dann habe ich diese ganze große Reise für nichts gemacht?«
»Nichts?« fragte Don Luis, und seine Miene zeigte einen Anflug von Hohn. »Ist es nichts, gegenwärtig zu sein, wenn ein großer König mit dem Ende des Jahrhunderts, das er beherrschte, erlischt?«
Auf mich allein gestellt, wäre ich zu früher Morgenstunde von Madrid aufgebrochen und hätte bei Einfall der Dämmerung den Escorial erreicht, denn der Palast lag nur sieben Meilen von der Hauptstadt entfernt. Das hieß jedoch, nicht mit Don Fernandos Langsamkeit, mit verspätetem Aufbruch, häufigenRasten und dem gemächlichen Trab zu rechnen, zu dem sein Gefolge und er die doch vollblütigen Tiere zwangen. So wurden wir denn unterwegs von der Dunkelheit überrascht und mußten in einem Dorf übernachten.
So ungehalten ich darüber auch war, so wenig bereute ich es am anderen Morgen, denn die Landschaft, durch die wir bei Sonnenaufgang zogen, war fremd und sonderbar: Zu beiden Seiten des felsigen Weges erstreckte sich eine endlose, dürre und steinige Einöde, mit seltenen Gräsern und etwas Buschwerk da und dort. Doch war diese Landschaft gar nicht so eben, wie es den Anschein hatte. Immer wieder faltete sie sich auf, und in den Falten lagen, wie Oasen in einer Wüste, kleine saftige und wohlbestellte Täler mit Weilern und dem tröstlichen Rauschen eines Bachs.
Gegen neun Uhr begann der Nordwind zu blasen, und er blies einem so stark und scharf ins Angesicht, daß ich trotz der Sonne aufhörte, mich wegen meines Samtwamses zu bedauern.
»Señor Marqués«, sagte Don Fernando, sein Pferd an meine Seite treibend, »wie findet Ihr den Wind?«
»Unglaublich stark.«
»Er wird abnehmen«, sagte er mit erstickter Stimme, »je näher wir der Sierra de Guadarrama kommen, deren schwarze Berge Ihr dort am Horizont erblickt. Die Mönche vom Escorial nenne diesen Wind den Atem des Bösen.«
»Es gibt Mönche im Escorial?«
»Mehr als hundert«, versetzte Don Fernando ernst. »Der Escorial ist in erster Linie ein Kloster.«
In dem Augenblick steigerte der Wind seine Heftigkeit und machte jede Unterhaltung unmöglich, Don Fernando konnte nur noch sagen, daß wir im nächsten Dorf halten würden, das in einer Schlucht liege und uns ein wenig vorm Atem des Teufels schützen werde.
»Nach der Stärke besagten Atems«, flüsterte La Surie mir ins Ohr, als wir absaßen, »scheint es der Höllenschmiede, jedenfalls von spanischer Seite her, nicht an Flammenkraft zu
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