Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
und beschloß, auf Mittag in Saint-Lambert einen Pachthof zu besuchen, der zum Krongut Navarra gehörte und wo er als Knabe sich an Früchten, Käse und Rahm gelabt hatte. Seine Majestät war voller Vorfreude bei dem Gedanken, die in der Kindheit so sehr geliebten Stätten wiederzusehen.
Die König nahm nur an dreißig Berittene mit, da ich aber Monsieur de Rosny unterstand, war ich mit von der Partie und ergötzte mich daran, wie Seine Majestät durch alle Ställe und Gärten lief und glücklich ausrief, er erkenne alles wieder. Er nahm mit den guten Leuten, die den Hof bewirtschafteten, ein frugales Mahl ein, und obwohl es noch mitten am Tag war, warf er sich gestiefelt, wie er war, auf ein Bett und schlief im Nu ein, erschöpft von den Visitationsgängen der vorangegangenen Nacht.
Monsieur de Rosny nun brannte die Junisonne zu heiß, er schwang sich in den Sattel, um in dem großen Wald zwischen Laon und La Fère Schatten zu suchen, und ich begleitete ihn. Wie wir uns dort im Schrittempo unter den Bäumen ergingen, die Zügel lose auf dem Widerrist unserer Pferde, die Halskrausen gelöst, die Wämser aufgeknöpft und kaum gesprächig, so drückend war die Hitze noch unterm kühlen Laubdach, hörten wir plötzlich wirren Stimmenlärm, unterbrochen von Rufen und Gewieher. Damit unsere Pferde nicht darauf antworteten und uns verrieten, saßen wir ab, übergaben die Tiere den Knechten und näherten uns auf Katzensohlen diesem stetig anschwellenden Lärm, bis wir schließlich durchs Laub die Landstraße von La Fère nach Laon wenig unter uns liegen sahen und auf der Straße eine endlose Kolonne von Infanteristen mit spanischem Helm, die in geordnetem, stillem Marsch dahinzogen, ich meine, ohne Trommelwirbel und Fanfaren. Die darauffolgende Artillerie aber war bei weitem nicht so schweigsam, die Karrenführer schrien lauthals »Hü!« und »Hott!« und knallten mit den Peitschen, und dieses Knallen schallte hoch und weit durch den Wald.
»Herrgott, Siorac!« rief Monsieur de Rosny – es war, soweit ich weiß, das einzige Mal, daß dieser gute Hugenotte beim heiligen Namen des Herrgotts schwor –, »es wird höchste Zeit, daß wir uns aus diesem Wald fortmachen, wollen wir hier nicht unsere Stiefel lassen! Und der König, bei Gott! Der König ahnt von nichts! Schnell, Siorac, schnell!«
Und so langsam wir gekommen waren, so hurtig eilten wir jetzt, bis wir schweißtriefend die Pferde erreichten, warfen uns in die Sättel und jagten mit verhängten Zügeln zum Pachthof von Saint-Lambert, wo wir den König, längst erwacht, im Obstgarten fanden, wie er mit einer Hand einen Pflaumenbaum niederbog und mit der anderen Pflaumen pflückte, wovon er Wangen und Hände vollhatte und, nach den Beulen seines Wamses zu urteilen, auch alle Taschen.
»Bei Gott, Sire!« rief Rosny, schon wieder schwörend, so außer sich war er, »sie kommen von La Fère, uns mit ganz anderen Pflaumen aufzuwarten!«
»Was ist? Was ist?« sagte der König, indem er unsere zerzausten und verschwitzten Gestalten verwundert betrachtete und uns gleichzeitig wie mechanisch die soeben gepflückten Pflaumen zusteckte, die wir, durstig, wie wir waren, und trotz des Ernstes der Stunde mit vollen Backen kauten. Und bis heute, Leser, bis heute fühle ich ihren köstlichen Geschmack noch im Mund, denn diese Pflaumen waren gewiß die süßesten und saftigsten, die ich im Leben jemals aß.
»Was ist los?« fragte der König, da wir vor Kauen stumm waren. »Was ist?« wiederholte er und packte Rosny am Arm.
»Ach, Sire!« sagte Monsieur de Rosny und verschluckte die Pflaume, die er im Mund hatte, samt dem Kern, »die gesamte feindliche Armee ist auf dem Weg von La Fère nach Laon!«
»Sankt Grises Bauch!« rief der König, »seid Ihr sicher?«
»Sire! Unbedingt sicher!« riefen wie aus einem Munde Rosny und ich. »Wir sahen es mit eigenen Augen!«
»Ha, Givry! Givry!« rief der König. »Ha, meine Kundschafter! Ihren Auftrag so zu verfehlen! Ohne Euch wäre ich überrumpelt worden! Holla! Die Pferde!«
Der Knecht brachte sein Tier, er sprang in den Sattel und galoppierte in Richtung des Feldlagers, indem er allen zurief, die er traf, sie sollten sich wappnen und in sein Quartier nachkommen. Er ritt so schnell, daß er seinem ganzen Gefolge weit vorauswar, nur Rosny, ich und ein paar andere, die gleich schnelle Pferde hatten wie er, konnten ihn einholen und flankierten ihn rechts und links, um ihn vor einer Schießerei von den Seiten her zu schützen. Als
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