Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
bewegen. Als dann aber der König in Paris einzog und ihre Heimkehr möglich gewesen wäre, wollte Angelina trotzdem nicht in die Hauptstadt zurückkehren, vielleicht, weil die Fremdheit, die uns nach Larissas Tod entzweit hatte, nicht gänzlich ausgeräumt war – bei mir bestand derZweifel fort und bei ihr der Groll –, vielleicht aber auch, weil Angelina, wenn meine ständigen Missionen mich fortrufen von Paris, sich in meiner Abwesenheit auf dem Land weniger einsam fühlt als in der Stadt, denn sie liebt mein Gut Chêne Rogneux und die tröstliche Zuneigung, mit welcher Gertrude, Zara und mein lieber Bruder Samson sie täglich umgeben.
Als meine Liebe in ihrer ersten Blüte stand, erschien sie mir so stark, daß ich mir niemals hätte vorstellen können, in eine solche Lage zu geraten. Doch so ist es nun. Zuerst litt ich unendlich, bis das Leiden eines Tages von selbst aufhörte und mir nur das Staunen über sein Aufhören blieb. Obgleich das Leben, das ich führe, weit von jenem entfernt ist, das ich mir einst zum Ziel gesetzt oder mir erträumt hatte, habe ich mich daran gewöhnt. Trotzdem weiß ich nicht, auch wenn ich nun über die Vierzig bin, ob ich mich bescheiden sollte nach den Worten des Dichters Marot: »Ich entsage dem Geschenk der Liebe, das man so teuer erkauft«, könnte es doch gut sein, daß gerade das Teure – ich meine Glück sowohl wie Schmerz – in den Augen der Menschen seinen Wert ausmacht. Und so manches Mal denke ich, daß mein Leben trüb und eingegrenzt wäre, würde mir das Herz in der Brust nur noch bei überraschenden Aktionen höher schlagen oder bei den kleinen Triumphen hernach.
Die erste Person, die ich in Paris zu sehen begehrte, war mein lieber, alter Freund, der ehrwürdige Doktor der Medizin, Fogacer, der in meinen jungen Jahren an der Ecole de Médecine zu Montpellier mein Mentor war und mich, wie er es gern ausdrückte, »an den sterilen Zitzen des Aristoteles« genährt hatte. Der Grund für mein Begehr war, daß Fogacer, obwohl Atheist und den Knaben zugetan und folglich zwiefach dem Scheiterhaufen geweiht, die Klugheit besessen hatte, Leibarzt bei Monseigneur Du Perron zu werden, und über seine Hauptaufgabe hinaus, welche darin bestand, die heikle Verdauung des Bischofs zu regeln, seine scharfen Augen und wachen Ohren gebrauchte, um alles wahrzunehmen, was in seiner Umgebung geraunt und geflüstert wurde.
Ich erfragte seine Wohnung am Hof, wo er zahlreiche Freunde hatte, weil er wie ich einer der Ärzte Heinrichs III. gewesen war, und als ich hörte, daß er inzwischen in der Rue de la Monnaiewohne – hinter der Kirche Saint-Germain-l’Auxerrois gelegen – , sandte ich ihm meinen Pagen Thierry mit einem Billett, worin ich ihn bat, mich nach dem Mittagsmahl zu empfangen. Und benötigte Thierry für den Gang auch zwei Stunden statt einer, hatte ich doch nicht das Herz, ihn zu tadeln, so ganz fogacerisch war wieder einmal das Briefchen, das er mir brachte.
Mi fili
, 1
besuche mich Schlag drei Uhr (meine Siesta ist mir wie meiner
ancilla formosa
2 nun einmal heilig), und du sollst mich ganz Ohr oder vielmehr ganz Zunge finden, sobald du aus Neugier, wie ich wette, ebenso wie aus Freundschaft in meiner Klause auftauchst. Du weißt,
mi fili
, mich zum Plaudern veranlassen heißt
piscem natare docere
3 , so sehr bin ich hierzu disponiert. Eile denn herbei, Sohn. Du wirst mich antreffen und
dicenda tacenda locutum
4 hören, und hiermit grüßt dein wie stets getreuer und dich liebender Diener
Fogacer.
Lachend streckte ich das Briefchen Miroul hin, der sich seinerseits daran ergötzte, so ähnlich sah es dem, der es geschrieben und der uns »Schlag drei« in seinem kleinen, aber behaglichen Reich in der Rue de la Monnaie empfing, lang, dünn, mit seinen Spinnenarmen und endlos langen Beinen anmutig im schwarzen Gewand, etwas immer noch jugendlich Übermütiges im Gesicht, denn mochten seine Haare mit den Jahren auch mehr Salz als Pfeffer zeigen, strebten seine Brauen doch diabolisch wie je zu den Schläfen auf und pointierten sein geneigtes, langsames und gewundenes Lächeln.
»Ha,
mi fili
!« sagte er, »welch ein Jammer, daß du so eilend und weilend bald da, bald dort in königlichen Diensten über Berg und Tal schweifst, denn allzuoft raubt dies mir das Vergnügen, dein lichtes Antlitz zu schauen! Monsieur de La Surie, Euer Diener! Nehmt bitte Platz!«
»Ehrwürdiger Doktor der Medizin«, sagte La Surie, »nennt mich doch bitte Miroul, unter
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