Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Herren, was du über das Collège de Clermont berichten kannst, wo du in den zwei vergangenen Jahren lerntest.«
»Nur das Allerbeste«, sagte Jeannette, indem sie sich vor uns aufpflanzte, die in der Tat etwas großen Hände vorm Bauch verschränkt. »So grausam ich von meinen Schulmeistern an der Sorbonne behandelt und auch tagtäglich geschlagen worden war«, fuhr sie mit ihrer dunklen, kratzigen Stimme fort, »so liebevoll waren zu mir die guten Patres.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte La Surie.
»Ich meine das im guten Sinn«, sagte Jeannette errötend, den Schatten der langen schwarzen Wimpern auf den Wangen.
»Das Wort liebevoll kann gar nicht in bösem Sinn verstanden werden!« sagte Fogacer salbungsvoll.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Jeannette. »Aber, wahrhaftig, meine Herren, da Ihr mich danach fragt, kann ich nur sagen, was Wissenschaft, Geduld, Güte und väterliche Zuneigung angeht, kommt niemand den Patres vom Collège de Clermont gleich, außer vielleicht mein sehr geliebter Herr, der ehrwürdige Doktor Fogacer.«
»Welch galantes Kompliment!« sagte lachend Monsieur de La Surie, »und hübsch gedrechselt, und paßt dem ehrwürdigen Fogacer wie ein Jesuitenrock.«
»Still, Miroul!« sagte ich. »Jeannette, fahr bitte fort.«
»Ha, Monsieur!« sagte sie, »so wahr die Universität für mich die Hölle war, so wahr erlebte ich das Collège de Clermont als Paradies. An der Universität büffelten wir von früh bis spät, ohne Spiele, ohne Abwechslung, ohne jede Pause, und wurden für ein Ja oder Nein von wütenden Lehrern geprügelt, ohne daß einem je ein gutes Wort oder eine Belohnung zuteil wurde. Meiner Treu! Ich glaubte zu träumen, als ich in der Rue Saint-Jacques zu den Patres kam, die einfach gütig waren, voller Aufmerksamkeit für jeden einzelnen und wirklich väterlich. Tausendmal lieber ermutigen sie, als zu strafen, Prügel sind bei ihnen sehr selten, und sie werden auch nicht von ihnen selbstausgeteilt, sondern vom Pedell, dessen Schläge sie mäßigen und oft deren Anzahl verringern, was ihnen die Dankbarkeit des Bestraften einbringt. Aber wer seine Sache gut machte, ha, Monsieur! wie wurde der gelobt, mit freundlichen Blicken, mit Auszeichnungen bedacht: Ehrenbänder, Kreuze, Medaillen! Und mit einer ganzen Hierarchie von Graden wie in der Armee des antiken Rom, auf die wir alle ganz begierig waren,
Decurion, Centurion, Primipile, Imperator. «
»Jeannette«, fragte ich lächelnd, »warst du einmal Imperator?«
»Ach, Monsieur! Dazu mußte man mindestens die Palme in lateinischen Versen erringen. Aber ich war ein Jahr lang
Centurion
, was auch schon viel war. Und in Spiel und Sport war ich einmal
Primipile
.«
»Was für Spiele? Was für Sport?« fragte Miroul verwundert.
»Alle Arten! Im Collège de Clermont gab es aus Platzmangel aber nur Fechten.«
»Fechten?« fragte ich. »Fechten, das aus der Universität verbannt wurde!«
»Nicht bei uns. Wir hatten einen Pater, der ein hervorragender Waffenmeister war. Und spielte sich ein Adelssohn mit dem Degen in der Hand zuerst ein wenig auf, lehrte er ihn schnell Bescheidenheit, indem er ihm besagten Degen aus der Hand schlug und höflich sagte: ›Tut mir leid! Damit, mein Sohn, wärt Ihr tot gewesen!‹ Was die anderen Sportarten betrifft, Paumespiel, Reiten und Schwimmen, so praktizierten wir sie auf dem Land, in einem Haus des Collège, das für uns ein zauberischer Aufenthalt war. Und wie wir uns mühten, ihn zu verdienen! Alles Latein, das ich kann, rührt von daher.«
»Und was gab es am Collège de Clermont außer dem Fechten?« fragte ich.
»Ergötzliche Spiele und Komödien.«
»Spiele und Komödien?« rief ich. »Fogacer, hättet Ihr das gedacht?«
»Ich denke von den guten Patres alles Gute«, sagte Fogacer mit seinem gewundenen Lächeln, »so daß mich nichts mehr erstaunen kann.«
»Komödien mit Kostümen?« fragte La Surie.
»Und ob!« sagte Jeannette. »In Kleidern, die wir selbst anfertigten, mit allem Drum und Dran. Einmal hatte ich die RolleKönig Heinrichs III. zu spielen, mit einer Pappkrone auf dem Kopf und einem Bilboquet in der Hand, umgeben von seinen als Teufel verkleideten Lustknaben, und der heilige Jacques Clément stieß ihm sein Messer in den Leib.«
»Heiliger Jacques Clément!« sagte ich.
»So nannten ihn voller Verehrung die guten Patres.«
»Bitte, fahr fort.«
»Nachdem Jacques Clément zugestochen hatte, stürzten sich die Teufel auf ihn und streckten ihn zu Boden, aber die
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