Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
welchem er zunächst sehr angeregt disputierte. Doch dann erwähnte er den Namen der Jungfrau Maria.
›Woher wißt Ihr, Señor‹, rief der Maure, ›daß Miriam (so der arabische Name Marias) eine Jungfrau war?‹
›Aus den Heiligen Schriften‹, sagte der heilige Ignatius stur.
›Ich glaube nicht, was diese Schriften hierzu behaupten‹, sagte der Maure. ›Mag es noch hingehen, daß die Empfängnis sich ohne Mitwirken eines Mannes vollzog – Gott der Herr ist allmächtig –, doch mit der Geburt wird es ein ander Ding. Mit dem Austritt des Kindes aus dem Mutterleib wird das Hymen zerstört. Und also war Miriam keine Jungfrau mehr.‹
›Elender Ungläubiger!‹ rief Ignatius und griff nach seinem Schwert, ›sei gestraft für diese unerträgliche Blasphemie!‹
Und mit gezücktem Schwert stürzte er auf den Mauren los, der jedoch Reißaus nahm, und so scharf der heilige Ignatius ihn auch verfolgte, hat er ihn doch nicht erwischt.«
Worauf wir lachten.
»Ich frage mich«, sagte ich dann, »ob wir lachen sollten. Bei rechter Überlegung erschreckt mich ein so kriegerischer Heiliger. Ich denke an den Jesuiten Samarcas, der dem EngländerMundane mit seiner berüchtigten Finte die Brust durchbohrte. Und jetzt erfahre ich, daß Samarcas sich dabei auch noch auf den Schutzheiligen seines Ordens berufen konnte.«
Am folgenden Tag bemühte ich mich, Antoine Arnauld zu sprechen, und sandte ihm einige Zeilen durch einen meiner Pagen, der zwei Stunden später wiederkam (Arnauld wohnte fünf Minuten von meinem Haus). Er brachte mir ein sehr höfliches Billett des berühmten Advokaten, worin dieser bat, ich möge mich doch noch acht Tage mit meinem Besuch gedulden, er arbeite an seinem Plädoyer gegen die Jesuiten und könne niemanden sehen, bevor er es nicht abgeschlossen habe, immerhin sei der Ausgang dieses Prozesses für den König und die Nation von allergrößter Bedeutung.
Sechs Tage später, als ich mich nach dem Abendessen in meinem Zimmer auskleidete, klopfte es an meiner Tür, die, wie der Leser sich wohl erinnert, auf die Wendeltreppe des Eckturms ging, welche Bequemlichkeit ich mit Louison teilte, die in der Kammer über mir wohnte, so daß sie zu mir herunter- oder ich zu ihr hinaufkonnte, ohne jemanden zu stören.
»Bist du es, Louison?« fragte ich, verwundert über das Klopfen.
Und als ich ihre Stimme zur Antwort hörte und öffnete, trat sie herein, aber nicht im Nachtgewand wie sonst, sondern ganz und gar angekleidet. Was mich jedoch weit mehr überraschte, war der entschlossene Ausdruck im Gesicht meiner blonden Reimserin.
»Herr Marquis«, erklärte sie auf meine verwunderte Frage, was sie wolle, »als ich gestern mit Mariette zum Markt ging, traf ich einen Putzmachermeister aus Reims, den ich kenne und der mich, wenn er übermorgen in die Champagne heimkehrt, freundlicherweise mitnehmen und in seinen Dienst stellen würde, wenn Ihr so gütig wärt, mich freizugeben.«
Sie brachte dies in einem Atemzuge vor, die Hände in den Hüften, mit klar erhobenem Blick.
»Louison«, sagte ich, »das erfordert eine Erklärung. Nimm Platz und sage mir, warum du mich verlassen willst.«
»Herr Marquis«, sagte sie, indem sie sich steif und sehr aufrecht setzte, die Hände im Schoß verschränkt und das Gesicht wie Marmor, »es ist nicht so, daß ich Euch verlassen will, aber ich will gehen.«
»Meine Liebe, kommt das nicht auf dasselbe hinaus?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Louison und verharrte stumm und still wie ein Bildwerk. Ich getraute mich nicht einmal, die Hand nach diesem Bildwerk auszustrecken, so kalt erschien es mir.
»Louison«, beharrte ich, »was hat das zu bedeuten? Willst du fort aus dem großen Paris? Sehnst du dich nach deiner Provinz?«
»Nein, Monsieur.«
»Hat dir jemand etwas zuleide getan?«
»Nein«, sagte sie mit einiger Wärme. »In diesem Haus begegnet mir jeder ehrenhaft. Ich werde es vermissen.«
»Und Guillemette?«
»Ach, die!« sagte sie, sich belebend, »eine Ohrfeige dann und wann genügt, sie wieder Respekt zu lehren.«
»Meine Liebe, willst du, daß ich deinen Lohn erhöhe?«
»Nein, Herr Marquis, ich bin nicht geldgierig. Ihr bezahlt mich gut.«
Hierauf wurde sie wiederum zu Stein.
»Louison«, sagte ich, »bist du dem Putzmachermeister so verbunden, daß du uns verlassen willst?«
»Das wirklich nicht, Herr Marquis«, sagte Louison feurig, »weder diesem Kaufmann noch sonst jemandem.«
»Louison«, sagte ich etwas streng, »dann bin ich mit
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