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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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seiner Kirche empfängt, inmitten der Gemeinschaft der Gläubigen. Ihr müßt wissen, Monsieur«, fuhr er beschwörend fort, »daß wir die Vergebung der Sünden hauptsächlich durch die Macht des gemeinschaftlichen Gebetes erwirken, welches die ganze Kirche zum Himmel sendet und ihn gleichsam zwingt, sich unseren Bitten zu öffnen!«
    Die Naivität dieser Ansicht konsternierte und ergötzte mich zugleich, da ich aber weder das eine noch das andere Gefühl äußern konnte, blieb ich stumm wie zuvor und ließ meinen Miroul machen. Was er mit seiner gewohnten Gewandtheit tat, im braunen Auge ein Funkeln, das blaue blieb kalt.
    »Ha, Herr Pfarrer!« rief er, »wie schön! Und wie treffend mir diese Metapher erscheint! Die Himmelspforte, die dem einsamen Penitenten verschlossen bleibt, die sich aber durch den vereinigten und gewaltsamen Druck aller Gläubigen zwingen läßt – das spricht zum Herzen und zur Vorstellungskraft! Monsieur, Ihr habt mich völlig überzeugt, ich strecke die Waffen.«
    »Herr Junker«, sagte Courtil, die Augen von Bescheidenheit leuchtend, »ich danke dem Himmel, daß er mich die rechten Worte finden ließ, Euch zu rühren. Und da Ihr mir die Ehre erweist, sie treffend zu nennen, werde ich sie gleich in meiner Sonntagspredigt verwenden.«
    »Der ich unfehlbar beiwohnen werde«, sagte ich, »und in der ersten Reihe, denn was mich angeht, so will ich meiner Gemeinde und meinem Pfarrer treu bleiben, ohne der Mode zu verfallen, die ihn seiner besten Penitenten beraubt.«
    »Herr Marquis, beraubt ist das richtige Wort«, sagte Courtil. »Ich muß gestehen, daß ich diese Jesuiten (und wieder klang das Wort wie Peitschenschlag) nicht ausstehen kann, die der Kirche soviel Schaden zufügen. Und wißt Ihr, weshalb?«
    »Weshalb?« fragte ich mit ungeheuchelter Begier.
    »Weil sie nicht weltlich sind und auch kein richtiger Orden, weder Fisch noch Fleisch, weder gutes Fleisch, sollte ich sagen, noch ehrbarer Fisch! Sie nennen sich regulär, aber wo sind ihre Kutten, ihre Klöster? Sie tragen Soutane wie wir, leben in der Zeit, verbreiten sich in der Welt. Mehr noch, wenn es darauf ankommt, legen sie weltliche Kleider an, gürten sich mit dem Schwert, reiten große Pferde, nicht bescheidene Maultiere wie wir, reisen über Berge und Täler, fahren über die Meere … Zudem weigern sie sich, die Autorität der Bischöfe anzuerkennen, gehorchen einzig ihrem General, der ein Spanier ist, und dem Papst, der ein Italiener ist. Sie brechen das Privileg der Universität und eröffnen Schulen, wo sie die Kinder durch vorgetäuschte Sanftmut verführen, und gleichzeitig korrumpieren sie deren Eltern durch skandalösen Sündenerlaß.«
    »Skandalös, Herr Pfarrer?« fragte ich, die Brauen wölbend.
    »Leider, Herr Marquis, daran ist nicht mehr zu zweifeln:
    Wenn der Penitent adlig, reich und eine Persönlichkeit der Gesellschaft ist, vergeben und absolvieren die Jesuiten alles: Duell, Meineid, Verrat, Raub und«, setzte er mit untröstlicher Miene hinzu, »auch Sodomie und Ehebruch, ich sage es mit Erschauern. Und, Monsieur, mit solchen verdammenswerten Praktiken werden sie in Paris geehrt und angebetet wie kleine Götter, beherrschen die Gewissen und bereichern sich unerhört.«
    »Bereichern, Herr Pfarrer? Ich dachte, sie hätten Armut gelobt?«
    »Ach, Herr Marquis, Ihr kennt diese verwünschten Casuisten nicht! Sie haben zwei Gelübde. Ein einfaches Gelübde, das sie ablegen, wenn sie in ihre Gesellschaft eintreten, die sich schamlos ›Gesellschaft Jesu‹ nennt, und dieses Gelübde erlaubt ihnen, Erbschaften und Legate anzunehmen. Haben sie diese kassiert und können sie weiter nichts erwarten, sprechen sie ein zweites feierliches Gelübde. Was mich angeht, so sage ich ganz offen, daß ich ihrem Armutsgelübde nicht traue. Arm, die Jesuiten! Schlicht, die Jesuiten! Guter Gott, was muß man hören in diesem Tal der Tränen! Unterm härenen Hemd verstecken die Jesuiten den Purpur! Unter der Asche die Glut des Ehrgeizes! Unter heiligen Worten die Gier von Erbschleichern! Ihr seht die Scheinheiligen mit gesenkten Augen gehen, aber sie schlagen den Blick nur zu Boden, um verstohlen Ausschau nach Gütern und Ehren zu halten!«
    Die Pest! dachte ich, welch eine Eloquenz! Und wie wenig christlich sie mich dünkt! Wer würde vermuten, daß hier ein Priester über einen anderen Geistlichen spricht? Wie flammend und gewalttätig ist der Haß der Kirche, nicht allein gegen die Ketzer!
    »Herr Pfarrer«, sagte ich, »ist

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