Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
ich, »wenn die Sache von derart kapitaler Bedeutung ist, dann, bitte, klärt mich auf! Nichts wünsche ich so sehr, wie unterrichtet zu werden und diesen Prozeß im wahren Licht zu sehen.«
»Herr Marquis«, fuhr Maître Antoine Arnauld mit so kraftvoller Stimme fort, als spräche er vor Gericht, »Ihr habt, wie man mir sagte, Heinrich III. gedient und dient Heinrich IV. mit dem bewundernswertesten Eifer, Ihr müßt also wissen, daß Philipp II. von Spanien, mit seinem überseeischen Gold im Rücken, nicht geringe Hoffnungen hegt, sich durch List und Gewalt zum Herrscher und Imperator des Okzidents zu machen. Und daß der größte Teil besagter List auf eine vorgetäuschte Verteidigung der katholischen Religion gegen die reformierte hinausläuft, wohl wissend – dieser Fuchs! –, wie stark religiöse Fragen die Geister beeinflussen. Aus diesem Grunde kaufte er den größten Teil des Vatikans durch opulente, an die Kardinäle gezahlte Pensionen und bekam, mit Ausnahme von Sixtus V., hinfort ihm ergebene Päpste. Da aber der Vatikan zu schwerfällig und zu seßhaft war, brauchte Philipp II. leicht bewegliche Leute, die sich an allen Ort einnisteten und überall verbreiteten, um die Dinge Spaniens voranzutreiben. Diese Leute sind die Jesuiten.«
»Was, ehrwürdiger Maître?« rief ich, »seid Ihr dessen sicher? Sind sie denn gänzlich in spanischer Hand?«
»Wie sollte man das bezweifeln?« fuhr er fort. »Das erste und hauptsächliche ihrer Gelübde ist, ihrem General
perinde ac cadaver
, wie ein Leichnam zu gehorchen.«
»Perinde ac cadaver!«
sagte ich, »wie finster diese Metapher klingt!«
»Und noch finsterer ist die Tatsache, daß dieser General unabänderlich ein Spanier ist und erwählt wird vom spanischen König.«
»Ich dachte, vom Papst?«
»Keineswegs! Dem Papst – das ist ihr viertes Gelübde – schwören die Jesuiten absoluten Gehorsam, aber ihr General wird von Philipp II. ernannt.«
»Besteht dann nicht die Gefahr eines Konflikts zwischen dem absoluten Gehorsam gegenüber dem Papst und dem Kadavergehorsam gegenüber ihrem General?«
»Die Gefahr«, sagte ernst Arnauld, »besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, weil der Papst unter stärkster Einflußnahme Philipps II. gewählt worden ist.«
»Fahren wir fort, Maître«, sagte ich. »Ihr meint also, daß die Jesuiten das hauptsächliche Herrschaftsinstrument Philipps II. in Frankreich sind?«
»In Frankreich und in Europa.«
»Verzeihen Sie«, sagte ich und zog zweifelnd eine Braue hoch, »wie beweist Ihr das?«
»Zum ersten damit«, sagte Arnauld, »welchen beträchtlichen Anteil die Jesuiten an der Rebellion der Franzosen gegen ihre Könige haben.«
»Aber!« sagte ich, »was alles in Frankreich sich zu den Ligisten rechnete, verfolgte doch ganz unterschiedliche Interessen: Die Großen, wie Guise, Mayenne, Nemours, hatten einzig die französische Krone im Auge. Andere wollten keinen Hugenotten zum König, schlossen sich ihm aber an, sowie Henri sich bekehrt hatte. Andere wieder huldigten ihm, nachdem er Paris eingenommen hatte.«
»Ja, ja«, sagte Arnauld, »aber die härteste, extremste und unbeugsamste Fraktion der Liga wurde von den Jesuiten unterstützt: die ›Sechzehn‹.«
»Noch einmal, wie beweist Ihr das?«
»Mit der Tatsache«, sagte Arnauld, »daß die geheimsten Beratungen der ›Sechzehn‹ nicht im Stadthaus abgehalten wurden, sondern in einem Saal des Collège de Clermont, Rue Saint-Jacques, und in Gegenwart des Rektors der Jesuiten. Was meint Ihr wohl, Marquis«, fuhr Arnauld, die Arme breitend, rhetorisch fort, »welche dieser beiden Parteien die andere beeinflußt hat?«
»Die Jesuiten«, sagte ich. »Das versteht sich von selbst, die ›Sechzehn‹ waren ein Sammelsurium grober und unwissender Wirrköpfe.«
»Zumal die Jesuiten eine Theologie ausgeklügelt und verbreitet hatten, nach der es den Untertanen freistünde, ihren König zu töten, sobald man ihn als Tyrannen betrachten könne oder er vom Papst exkommuniziert worden sei. Und auf wen zielte das?«
»Auf die lutherischen deutschen Fürsten, auf Prinz von Oranien, genannt der Schweiger. Auf die englische Königin Elisabeth. Auf Heinrich III. nach der Ermordung des Kardinals von Guise – und obwohl er Katholik war. Und nunmehr auf unseren jetzigen König.«
»So«, fuhr Arnauld fort, »und nun haltet Euch vor Augen, wie die neue Theorie der Jesuiten über den Königsmord sich auf wunderbare Weise in Taten niederschlug. Am 11. Juli 1584 – aber
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