Der Tag Delphi
den Hubschrauber nach oben zu bringen, doch das kippte ihn wieder zur Seite. Der Rotor stotterte, seine Drehung wurde durch die Kabelschlingen abgewürgt. McCracken sah, daß der Hubschrauber auf ein Parkhaus hinter dem Cocowalk zu stürzen drohte, und bedeckte schützend seinen Kopf, bevor er den Aufschlag hörte.
Der Helikopter schlug auf dem Parkhausdach auf und fing Feuer, explodierte aber nicht. Blaines Blicke verweilten nur kurz auf ihm, bevor sie sich wieder auf das zertrümmerte Innere des Einkaufszentrum richteten. Nicht ein Laden oder eine Schaufensterfront waren noch intakt. Glasscherben und Trümmer lagen überall herum, oft auf den Leichen, die die Killer zurückgelassen hatten. Einsatzgruppen der Polizei von Miami drangen gleich einer schwarzen Welle in den Gebäudekomplex ein. McCracken hob seine Hände, um sie in seine Richtung zu dirigieren.
Der letzte Gewehrschütze, mit dem er sich duelliert hatte, tauchte in seinem Sichtfeld auf, als er zu der M16 hechtete, die McCrackens Schüsse ihm entrissen hatten. Die Gestalt hatte ihre schwarze Skimaske verloren, und eine Fülle blonden Haars glitt auf ihre Schultern herab. Eine Frau!
»Nicht!« schrie Blaine hinab, die Beretta wieder in der Hand und auf sie gerichtet.
Die Hand der Frau griff nach der M16, richtete sie aber nicht auf ihn. Durch den Tumult alarmiert, eilten Polizisten mit gezückten Waffen zur vierten Etage.
»Stopp!« schrie eine Stimme.
»Hände in die Luft!« folgte eine andere.
»Geben Sie auf«, rief Blaine der Frau zu. »Es ist vorbei.«
»Nein!« erwiderte sie. »Das ist erst der Anfang. Eine Revolution in den Straßen, die in dieser Nacht anfängt. Wir werden uns dieses Land zurückholen!«
»Wer? Wer seid ihr?«
»Ihr könnt uns nicht aufhalten! Niemand kann uns aufhalten! Ihr werdet sehen, alle werden es sehen!«
»Lassen Sie die Waffe fallen!« schrie einer der Polizisten McCracken an. »Keine Bewegung!«
Drei Polizisten näherten sich der Frau aus verschiedenen Richtungen.
Blaine ließ die Pistole fallen und hob die Hände. »Erschießt sie nicht!« rief er den Beamten zu. »Wir brauchen sie und …«
Die Augen der Frau loderten. Sie brachte die M16 in Anschlag.
»Nein!« schrie Blaine.
Die Kugeln der Polizisten drangen in sie ein, wirbelten die Gestalt der Frau herum und warfen sie zu Boden. Ihre Beine zuckten einmal, dann lag sie reglos da.
McCracken lehnte über dem Geländer. »Verdammt«, murmelte er.
Das Suchlicht des zivilen Hubschraubers erfaßte McCracken mitten in einem ganzen Dutzend von Gewehrläufen, die auf ihn gerichtet waren. Zwei Beamte liefen die Treppenstufen zu ihm hoch.
»Auf den Boden!« befahl einer von ihnen. »Sofort!«
Blaine sah noch einmal zu der Leiche der jungen Frau, dann ging er in die Knie und legte sich flach auf den Bauch. Ein Fuß traf hart gegen seinen Hals. Seine Hände wurden hinter seinem Rücken zusammengedrückt, und Handschellen schnappten zu.
»Falls ihr es noch nicht gemerkt habt«, preßte er aus dem Mundwinkel hervor, der nicht auf die Fliesen gedrückt war, »ich bin auf eurer Seite.«
»Sie sind verhaftet«, sagte die Stimme eines Polizisten.
Viertes Kapitel
»Danke, daß du dir Zeit für mich nimmst«, lautete Kristen Kurcells Begrüßung, als Paul Gathers aus seinem Büro im J.-Edgar-Hoover-Gebäude kam.
»Kein Problem. Du wirst mir dafür bestimmt einen Gefallen tun, wenn meine Abteilung das nächstemal wegen der Geldmittel beim Bewilligungskomitee deiner Senatorin vorstellig wird.«
Er umfaßte mit beiden Händen ihre ausgestreckte Hand, und sie reagierte nervös auf den Händedruck.
»Du zitterst ja«, sagte er und berührte ihre Schulter.
Sie zuckte mit den Schultern. Mit einem Meter siebzig war Gathers nur ein paar Zentimeter größer als sie. Sie hatten sich zum ersten Mal getroffen, nachdem ein Bildbericht über ›Frauen auf dem Hügel‹ im Washington Magazine erschienen war und er sie daraufhin angerufen hatte. Kristen war eine der Frauen gewesen, die darin herausgestellt wurden, und viele, die die Unterschriften nicht lasen, hatten sie für ein professionelles Modell gehalten. Das war kein Wunder. Sie war groß und schlank und hatte sich sowohl ihre jugendliche Vitalität als auch ihre athletische Figur erhalten. Ein gewinnendes Lächeln ergänzte ihre blühende Wangenfarbe, die sie ständig aussehen ließ, als wäre sie gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt. Ihre Haare waren eine kastanienfarbige Komposition von Locken und Wellen, die adrett
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