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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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widerstand der Ohnmacht. Sie war mitten in einem Anfall von Menschenangst. Schmutzige Männerhände streiften sie, berührten sie, wollten ihr weh tun. Ihre Angst war so stark, daß sie sich nicht einmal übergeben konnte. Sie blieb wie angewurzelt stehen, wie eine Gefangene, unfähig, ihren Peinigern zu entkommen. Das »Halt, Polizei« hörte sie kaum.
    Das Messer unterbrach seine Arbeit.
    Ein Mann mit gezücktem Revolver zeigte einen mit den Farben der Trikolore gestreiften Ausweis.
    »Scheiße, die Bullen! Hauen wir ab, Jungs. Dich Schlampe erwischen wir ein anderes Mal.«
    Sie rannten los.
    »Bleibt, wo ihr seid!« rief der Polizist.
    »Genau«, meinte der Glatzkopf. »Brat uns eins über, und sie machen dir den Prozeß.«
    Jacques Méliès ließ seinen Revolver sinken und sie verdrückten sich.
    Allmählich gewann Laetitia Wells wieder die Kontrolle über ihren Atem. Es war vorbei. Sie war gerettet. »Na, geht’s wieder? Haben sie Ihnen nicht zu sehr zugesetzt?«
    Sie schüttelte verneinend den Kopf. Nach und nach faßte sie sich wieder. Er nahm sie ganz natürlich in die Arme, um sie zu beruhigen: »Jetzt wird alles wieder gut.«
    Und ebenso natürlich drückte sie sich an ihn. Sie war erleichtert. Sie hätte nie geglaubt, eines Tages so glücklich über das Auftauchen von Kommissar Méliès zu sein.
    Sie richtete ihre lila Augen auf ihn; die Wogen in ihnen hatten sich geglättet. Kein tigerhaftes Glimmen mehr, nur noch sanft vom Wind bewegte Wellchen.
    Jacques Méliès klaubte die Knöpfe ihrer Jacke auf.
    »Ich muß mich wohl bei Ihnen bedanken«, sagte sie.
    »Nicht der Rede wert. Ich sag’s noch mal: Ich will mich bloß mit Ihnen unterhalten.«
    »Und worüber?«
    »Über diese Chemikerunfälle, die uns beide beschäftigen. Ich war blöd. Ich brauche Ihre Hilfe. Ich habe … Ihre Hilfe immer gebraucht.«
    Sie zögerte. Aber wie hätte sie ihn in Anbetracht der Umstände nicht auf ein weiteres Glas Ambrosia zu sich nach Hause einladen können?
     

116. ENZYKLOPÄDIE
     
    ZIVILISATIONSSCHOCK: Papst Urban II. rief 1096 den ersten Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems aus. Teilnehmer waren entschlossene, aber militärisch völlig unerfahrene Pilger. An ihrer Spitze: Gautier Sans Avoir und Peter von Amiens. Die Kreuzzügler drangen nach Osten vor, ohne überhaupt zu wissen, welche Länder sie durchquerten. Als sie nichts mehr zu essen hatten, plünderten sie alles auf ihrem Weg und richteten dabei im Westen mehr Unheil an als im Osten. Ausgehungert verfielen sie dem Kannibalismus. Diese »Verfechter des wahren Glaubens« verwandelten sich schnell in eine wilde und gefährliche Rotte Lumpengesindel. Der König von Ungarn, gleichwohl selbst Christ, war erzürnt über die Schäden, die diese Habenichtse angerichtet hatten, und beschloß, sie zu töten, um seine Bauern vor ihren Übergriffen zu schützen. Den wenigen Überlebenden, die es schafften, bis zur Küste von Kleinasien zu gelangen, ging ein solcher Ruf als Barbaren voraus, die halb Menschen, halb Tiere seien, daß ihnen die Einwohner von Nikäa ohne das geringste Zaudern den Rest gaben.
    Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Bd. 2

117. IN BEL-O-KAN
    In Bel-o-kan landen Botenmücken. Alle bringen sie die gleiche Nachricht. Die Kreuzzüglerinnen sollen unter Einsatz von Bienengift einen Finger getötet haben. Dann hätten sie den Bienenstock Askolein angegriffen und besiegt. Auf ihrem Weg könne ihnen nichts widerstehen.
    In der ganzen Stadt bricht heller Jubel aus.
    Königin Chli-pu-ni ist entzückt. Sie hatte ja schon immer gewußt, daß die Finger verwundbar waren. Jetzt war der Beweis dafür erbracht. Auf dem Gipfel der Erregung meint sie zum Leichnam ihrer Mutter gewandt: Wir können sie töten, wir können sie besiegen. Sie sind uns nicht überlegen.
    Einige Stockwerke unter der Verbotenen Stadt versammeln sich die Pro-Finger-Rebellinnen in einem geheimen Saal, der noch enger ist als ihre ehemalige Zuflucht über den Nashornkäferställen.
    Wenn unsere Legionen wirklich einen Finger töten konnten, heißt das, daß sie keine Götter sind, meint eine Ungläubige. Sie sind unsere Götter, bekräftigt eine Gottgläubige nachdrücklich. Ihrer Meinung nach haben die Kreuzzüglerinnen geglaubt, einen Finger zu erwischen, tatsächlich aber ein anderes rundes, rosafarbenes Tier angegriffen. Voller Eifer wiederholt sie: »Die Finger sind unsere Götter.«
    Indessen beschleichen einige der unbeirrbarsten Gottgläubigen die ersten

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