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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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von kurzer Dauer. Die Biene erweist sich als schlechtes Flugtier, denn sie erzeugt zu starke Vibrationen. Unmöglich, unter diesen Umständen einen Säurestrahl zielsicher abzufeuern. Dann eben nicht. Das Bienengeschwader wird ohne Piloten fliegen.
    In einer Ecke hält Nr. 23 erneut eine Propagandaversammlung ab. Diesmal hat sie es geschafft, viel mehr Zuhörerinnen als bei der letzten Zusammenkunft um sich zu scharen.
    Die Finger sind unsere Götter!
    Das Publikum nimmt im Chor den Slogan der Gottgläubigen auf. Die Ameisen begeistern sich daran, alle gleichzeitig ein und dasselbe Pheromon auszustoßen.
    Aber warum dann dieser Kreuzzug?
    Das ist kein Kreuzzug, sondern eine Begegnung mit unseren Meistern.
    Ein Stück weiter leitet Nr. 9 eine völlig andere Kampagne.
    Sie spricht vor etwa hundert Soldatinnen, die sich ihr aufgrund der schrecklichen Berichte über die Finger angeschlossen haben, denen zufolge sie imstande sind, in wenigen Sekunden eine ganze Stadt zu entführen. Beim Zuhören erschaudern alle.
    Und noch ein Stück weiter steht Nr. 103. Sie schweigt. Sie empfängt. Genauer gesagt sammelt sie alles, was ihr die fremden Arten über die Finger erzählt haben, um ihr zoologisches Pheromon zu vervollständigen.
    Eine Fliege berichtet, von zehn Fingern verfolgt worden zu sein, die es darauf angelegt hätten, sie plattzudrücken.
    Eine Biene erzählt, sie sei in einem durchsichtigen Becher gefangen gewesen, während Finger sie von außen verhöhnt hätten.
    Ein Maikäfer berichtet, gegen ein weiches, rosafarbenes Tier geprallt zu sein. Vielleicht war es ein Finger.
    Eine Grille behauptet, in einen Käfig gesperrt, mit Salat gefüttert und dann freigelassen worden zu sein. Ihre Kerkermeister seien mit Sicherheit Finger gewesen, weil ihr die Nahrung von rosafarbenen Kugeln gebracht worden sei.
    Rote Ameisen versichern, mit ihrem Gift einen rosafarbenen Klumpen beschossen zu haben, der sofort geflüchtet sei.
    Eifrig speichert Nr. 103 alle Einzelheiten dieser Zeugen-aussagen in ihrem zoologischen Pheromon über die Finger.
    Dann wird die Temperatur wieder erträglich, und die Ameisen machen sich abermals auf den Weg.
    Der Kreuzzug marschiert voran, immer voran.

120. SCHLACHTPLAN
    Laetitia Wells hatte es eilig, sich den Körper vom Schmutz der Metro abzuwaschen. Sie schlug Méliès vor, in ihrem Wohnzimmer fernzusehen, während sie ihr Bad nahm.
    Er machte es sich auf der Couch bequem und schaltete den Apparat ein, während Laetitia im Wasser zum Fisch wurde. Nachdenken unter Wasser. Sie sagte sich, daß sie zwar gute Gründe hatte, Méliès zu verabscheuen, aber genauso gute, ihm dankbar zu sein, daß er im rechten Moment eingeschritten war.
    Sie waren quitt.
    Im Wohnzimmer saß Méliès vor seinem Lieblingsspielzeug mit dem Lächeln eines Kindes und verfolgte seine Lieblingssendung.
    »Also, Madame Ramirez, haben Sie’s herausgekriegt?«
    »Ah … Vier Dreiecke aus sechs Streichhölzern, das sehe ich ja ein, aber sechs Dreiecke aus sechs Streichhölzern, das will mir nicht in den Kopf.«
    »Schätzen Sie sich glücklich. ›Denkfalle‹ hätte von Ihnen genausogut verlangen können, aus siebzigtausend Streichhölzern einen Eiffelturm zu errichten …« Gelächter und Beifall. »Aber unsere Sendung verlangt von Ihnen bloß, daß sie aus sechs Streichhölzern sechs Dreiecke bilden.«
    »Ich nehme einen Joker.«
    »Na schön. Um Ihnen zu helfen, noch ein Satz: ›Es ist wie ein Tropfen Tinte, der in ein Glas Wasser fällt.‹«
    In ihrem üblichen Bademantel und mit einem Handtuch als Turban auf dem Kopf tauchte Laetitia wieder auf. Méliès schaltete den Fernseher aus.
    »Ich möchte Ihnen für Ihr Eingreifen danken. Sie sehen, ich hatte recht, Méliès. Der Mensch ist unser schlimmstes Raubtier. Meine Angst ist vollkommen logisch.«
    »Übertreiben wir nicht. Es waren bloß ein paar Gauner ohne viel Mumm.«
    »Ob einfach Faulenzer oder Mörder, hätte für mich nichts geändert. Die Menschen sind schlimmer als die Wölfe. Sie können nicht einmal ihre primitivsten Triebe beherrschen.«
    Jacques Méliès erwiderte nichts und stand auf, um das Ameisenterrarium zu betrachten, das die junge Frau jetzt gut sichtbar mitten in ihrem Wohnzimmer aufgestellt hatte. Er legte einen Finger an die Scheibe, aber die Ameisen schenkten ihm keinerlei Beachtung. Für sie war er nur ein Schatten.
    »Sie sind wieder zum Leben erwacht?« fragte er.
    »Ja. Ihr ›Eingreifen‹ hat neun Zehntel von ihnen das Leben gekostet, aber die

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