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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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recht, wo sie sich befindet. All die vielen Zellenreihen verwirren sie. Dennoch läßt sie den Schmetterlingskokon nicht los. Sie biegt um eine Wabenecke und hofft, sich dem Rest des Kreuzzugs vor dem nächsten Morgen wieder anschließen zu können.

115. IN DER FEUCHTEN HITZE DER METRO
    In der kompakten Masse des Waggons war Jacques Méliès zum Ersticken zumute. Eine Kurve schleuderte ihn gegen den Bauch einer Frau. Eine leicht angerauhte Stimme schimpfte:
    »Können Sie nicht aufpassen?«
    Zunächst erkannte er die Melodie der Worte wieder. Gleich darauf entzifferte er durch den Schmutz-und Schweißgeruch die süße Botschaft eines Parfüms. Bergamotte, Vétiver, Mandarine, Gallussäure, Sandelholz und eine Prise Moschus vom Pyrenäensteinbock. Das Parfüm sagte: Ich bin Laetitia Wells.
    Und sie war es. Mit ihrem lila Blick funkelte sie ihn wütend an und musterte ihn feindselig. Die Türen gingen auf.
    Neunundzwanzig Fahrgäste stiegen aus, fünfunddreißig ein.
    Noch dichter gedrängt als zuvor nahmen alle den Atem der anderen wahr.
    Sie starrte ihn immer fester an, wie eine Brillenschlange, die sich bereit macht, ein Mangustenbaby zu verschlingen, und seine Faszination gestattete ihm nicht, seinen Blick abzuwenden.
    Sie war unschuldig. Er hatte vorschnell gehandelt. Früher hatten sie Ideen ausgetauscht. Sie waren sich sogar sympathisch gewesen. Sie hatte ihm Ambrosia angeboten. Er hatte ihr gegenüber seine Angst vor Wölfen zugegeben und sie ihre Angst vor den Menschen. Wie er sich nach diesen intimen Augenblicken sehnte, die allein durch seine Schuld verdorben waren.
    »Mademoiselle Wells, ich möchte Ihnen sagen, wie sehr …«
    Sie nutzte einen Halt, um sich zwischen den Leibern durchzuschlängeln und zu verschwinden.
    Nervösen Schrittes eilte sie die Gänge der Metro entlang. Sie lief beinahe, um so schnell wie möglich diesem düsteren Ort zu entfliehen. Sie fühlte sich von obszönen Blicken abgeschätzt.
    Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, benutzte Kommissar Méliès auch noch die gleiche Linie wie sie!
    Dunkle Gänge. Feuchte Schläuche. Ein von bleichen Neonröhren erhelltes Labyrinth.
    »Hey, Puppe! Machen wir einen Spaziergang?«
    Drei Galgengesichter traten vor. Drei Gauner in Vinylblousons, von denen einer sie schon vor ein paar Tagen angesprochen hatte. Sie ging schneller, aber die anderen folgten ihr, daß der Boden von den Eisen an ihren Boots widerhallte.
    »So ganz allein? Hast du nicht Lust, ein Schwätzchen zu halten?«
    Sie blieb abrupt stehen. In ihren Pupillen stand »haut ab«
    geschrieben. Neulich hatte es funktioniert. Heute hatte es keine Wirkung auf diese Idioten.
    »Diese hübschen Äuglein gehören Ihnen?« fragte ein großer Bärtiger.
    »Nein, die sind gemietet«, meinte einer seiner Spießgesellen.
    Dreckiges Gelächter. Schulterklopfen. Der Bärtige zog ein Schnappmesser heraus.
    Mit einem Schlag ging ihre ganze Selbstsicherheit flöten, und da sie sich nun in der Rolle des Opfers befand, nahmen die anderen sogleich die des Raubtiers ein. Sie wollte verduften, aber die drei Gauner versperrten ihr gemeinsam den Weg.
    Einer von ihnen packte ihren Arm und drehte ihn ihr auf den Rücken.
    Sie stöhnte.
    Der Gang war beleuchtet und keineswegs verlassen. Leute gingen an der Gruppe vorbei und beschleunigten ihre Schritte, während sie so taten, als würden sie nichts merken. Einen Messerstich fängt man sich so schnell ein …
    Laetitia Wells geriet in Panik. Gegen diese Rohlinge wirkte keine ihrer üblichen Waffen. Der Bärtige, der Glatzkopf, der Vierschrötige hatten bestimmt auch einmal eine Mutter gehabt, die lächelnd blaue Babywäsche für sie strickte.
    Die Augen der Räuber funkelten, und die Leute gingen weiter um sie herum, wurden in der Nähe dieser kleinen Zusammenrottung schneller.
    »Was wollt ihr? Geld?« stotterte Laetitia. »Dein Geld holen wir uns später. Jetzt interessieren wir uns erst mal für dich«, lachte der Glatzkopf.
    Schon schnitt der Bärtige mit der gezückten Messerspitze die Knöpfe ihrer Jacke nacheinander ab.
    Sie wehrte sich.
    Das durfte doch nicht wahr sein. Es war vier Uhr nachmittags. Jemand mußte doch endlich reagieren und Alarm schlagen!
    Der Bärtige stieß einen Pfiff aus, als er den Busen sah.
    »Ein bißchen klein, aber trotzdem ganz hübsch, findet ihr nicht?«
    »Das ist das Problem mit den Asiatinnen. Sie haben alle Körper wie kleine Mädchen. Nichts, um die Hand eines richtigen Mannes auszufüllen.«
    Laetitia Wells

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