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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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Zweifel. Und sie begehen den Irrtum, darüber direkt mit dem mechanischen Propheten zu sprechen: dem berühmten Doktor Livingstone.
     

118. GÖTTLICHER ZORN
     
    Gott Nicolas rast.
    Was ist das denn – Ameisen, die zu widersprechen wagen?
    Gottlose, Frevlerinnen, Lästerinnen? Diese Heidinnen müssen zur Räson gebracht werden.
    Wenn er sich nicht als schrecklicher, rachsüchtiger Gott erweist, das weiß er, wird seine Herrschaft nicht lang dauern.
    Er setzt sich an die Tastatur des Computers, der seine Worte in Pheromone überträgt:
     
    Wir sind Götter
    Wir vermögen alles.
    Unsere Welt ist überlegen.
     
    Wir sind unbesiegbar,
    Und niemand darf unsere Herrschaft in Zweifel ziehen.
     
    Verglichen mit uns seid ihr nur unreife Larven.
    Von der Welt versteht ihr nichts.
     
    Achtet und nährt uns.
    Die Finger können alles, denn die Finger sind Götter. Die Finger können alles, denn die Finger sind groß.
    Die Finger können alles, denn die Finger sind mächtig.
     
    Das ist die Wahr …
     
    »Was machst du denn da, Nicolas?«
    Schnell schaltete er das Gerät ab. »Schläfst du nicht, Mama?«
    »Der Tastenlärm hat mich aufgeweckt. Mein Schlaf ist so leicht geworden, daß ich manchmal nicht mehr weiß, wann ich schlafe, wann ich träume und wann ich voll in der Wirklichkeit lebe.«
    »Du bist in einem Traum, Mama. Leg dich wieder hin!«
    Er führte sie langsam zu ihrem Bett zurück.
    Lucie Wells murmelte: »Was hast du mit dem Computer gemacht, Nicolas?« Aber der Schlaf umfing sie wieder, ehe sie die Frage stellen konnte. Sie träumte, daß ihr Sohn den »Stein der Weisen« benutzte, um die Funktionsweise der Ameisenzivilisation besser zu begreifen.
    Nicolas hingegen dachte, daß er noch einmal knapp davon gekommen war. In Zukunft würde er besser aufpassen müssen.

119. GETEILTE MEINUNGEN
    Eine lange düstere Kolonne zieht unter dem Gestrüpp aus Salbei, Majoran, Thymian und Blauklee dahin. Die Spitze des ersten Kreuzzugs gegen die Finger in der Geschichte der Ameisen führt Nr. 103 an, weil sie die einzige ist, die den Weg kennt, der ans Ende der Welt und dann ins Fingerland führt.
    Wartet auf mich! Wartet auf mich!
    Beim Aufwachen hat Nr. 24 sich umgehört, und schließlich haben die Fliegen ihr gezeigt, wie sie wieder zur Karawane findet.
    Sie gesellt sich nach vorn zu Nr. 103. Hast du wenigstens deinen Kokon nicht verloren?
    Nr. 24 ist entrüstet. Sie neigt vielleicht zum Leichtsinn, aber die Bedeutung ihrer Last ist ihr durchaus bewußt. Die Mission Merkur geht über alles. Nr. 103 beruhigt sie und schlägt ihr vor, immer an ihrer Seite zu bleiben. So laufe sie noch weniger Gefahr, sich zu verirren. Nr. 24 ist einverstanden und folgt ihr auf dem Fuße.
    Dahinter stimmt Nr. 9, vom Zirpen einer Gruppe Maulwurfsgrillen begleitet, ein Kriegslied an, um die Truppe in Stimmung zu bringen:
     
    Tod den Fingern, Soldatinnen, Tod den Fingern!
    Wenn du sie nicht tötest, zerquetschen sie dich.
    Sie stecken deine Stadt in Brand
    Und massakrieren die Ammen.
    Sie sind alle schlaff.
    Sie haben keine Augen,
    Und sie sind bösartig.
    Tod den Fingern, Soldatinnen, Tod den Fingern.
    Morgen soll uns keiner entkommen.
     
    Im Augenblick sind es eher die Kleintiere der näheren Umgebung, die den Kreuzzug mit ihrem Leben bezahlen. Die Prozession verbraucht insgesamt durchschnittlich vier Kilo Insektenfleisch pro Tag.
    Ganz zu schweigen von den durch die Roten geplünderten Nestern.
    Wenn die Dörfer von dem nahenden Kreuzzug verständigt werden, ziehen sie es meist vor, sich ihm anzuschließen, als daß sie seine Raubzüge erdulden. So daß die Kreuzzüglerinnen immer mehr werden.
    Als sie von Askolein aufgebrochen sind, waren sie erst zweitausenddreihundert. Jetzt sind sie schon zweitausend-sechshundert in einer bunt zusammengewürfelten Truppe, in der Ameisen aller Form und Größe dominieren. Sogar die Luftflotte ist wiederaufgebaut. Sie ist jetzt zweiunddreißig Nashornkäfer stark, zu denen dreihundert Kriegerinnen der Bienenlegion gekommen sind, außerdem eine Familie aus siebzig Fliegen, die völlig undiszipliniert hin und her schwirren. Der Kreuzzug umfaßt jetzt also wieder fast dreitausend Teilnehmer.
    Am Mittag legt er eine Rast ein, weil die Hitze unerträglich wird.
    Alle suchen Schutz unter den schattigen Wurzeln einer Eiche, um ein unverhofftes Schläfchen einzulegen. Nr. 103 nutzt die Pause, um einen Probeflug zu absolvieren. Sie bittet eine Biene, sie auf ihrem Rücken zu tragen.
    Das Experiment ist nur

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