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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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verzweifelt in den Windungen seines Gehirns und dachte: Dieses Gesicht kenne ich doch.
    Wie ihm lag auch Laetitia Wells ein Name auf der Zunge, ohne daß er ihr eingefallen wäre.
    »Lassen Sie Ihren Revolver fallen, Monsieur!« Méliès warf seinen Revolver zu Boden. »Setzen Sie sich auf die Stühle da.« Dieser Tonfall, diese Stimme …
    »Wir sind keine Einbrecher«, fing Laetitia an. »Mein Begleiter ist sogar …«
    Sofort schnitt der Kommissar ihr das Wort ab: »… aus dem Viertel hier. Ich wohne um die Ecke.«
    »Spielt keine Rolle«, meinte die Person und fesselte sie mit Hilfe von Stromkabeln an ihre Stühle.
    »So, jetzt können wir schon gemütlicher miteinander reden.«
    Wer war das doch nur …
    »Was tun Sie hier bei mir, Kommissar Méliès, und Sie, Laetitia Wells, Journalistin vom Sonntagsecho? Und dann auch noch gemeinsam. Ich hatte immer gedacht, Sie beide würden einander hassen. Sie hat Sie in der Presse beleidigt, Sie haben sie ins Gefängnis gesteckt. Und jetzt sind Sie beide da, wie Taschendiebe auf dem Jahrmarkt, in meinem Haus, und das um Mitternacht.«
    »Nur weil …«
    Abermals wurde Laetitia unterbrochen.
    »Ich weiß genau, was mir Ihren reizenden Besuch verschafft, lassen Sie nur. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber Sie sind meinen Ameisen gefolgt.«
    Von unten rief eine Stimme herauf: »Was ist denn los, Liebling? Mit wem redest du da oben im Speicher?«
    »Mit ungebetenen Gästen.«
    Ein zweiter Kopf, ein zweiter Körper kamen durch die Falltür zum Vorschein. Beide dachten sie: Den kenne ich nicht.
    Es war ein Herr mit langem weißem Bart in einem grau-rot karierten Hemd. Er sah aus wie ein Weihnachtsmann, aber ein Weihnachtsmann, der vom Alter ausgezehrt und am Ende seiner Kräfte war.
    »Darf ich vorstellen: Monsieur Méliès und Mademoiselle Wells. Sie haben unsere kleinen Freundinnen bis hierher begleitet. Wie? Das werden sie uns gleich verraten.« Der Weihnachtsmann wirkte erschüttert.
    »Aber sie sind ja beide berühmt! Er als Polizist und sie als Journalistin. Du darfst sie nicht umbringen, sie nicht.
    Außerdem können wir mit dem Töten nicht so weitermachen
    …«
    Die Frau fragte trocken: »Du willst, daß wir aufgeben, Arthur? Du willst, daß wir die Sache hinschmeißen?«
    »Ja«, erwiderte Arthur.
    Sie bettelte beinahe: »Aber wenn wir aufhören, wer übernimmt dann unsere Aufgabe? Es gibt niemand, niemand
    …«
    Der Mann mit dem weißen Bart rang die Hände.
    »Wenn die uns gefunden haben, dann schaffen andere es auch. Dann heißt’s wieder töten, immer weiter töten! Wir hätten unsere Mission ja doch nie zu Ende gebracht. Wenn man einen beseitigt, kommen zehn neue. Ich habe diese viele Gewalt satt …«
    Den Weihnachtsmann habe ich nie gesehen. Aber sie, sie …
    Ganz mit dem Durcheinander in ihrem Kopf beschäftigt, vermochte Laetitia gar nicht dem Gespräch zu folgen, bei dem es ja immerhin um ihr und Méliès’ Leben ging.
    Arthur wischte sich mit einem Handrücken voller dunkler Flecken den Schweiß von der Stirn. Die Unterhaltung hatte ihn erschöpft. Er suchte etwas, woran er sich hätte festhalten können, fand nichts und fiel ohnmächtig zu Boden.
    Schweigend starrte die Frau die beiden jungen Leute an.
    Dann band sie sie los. Sofort rieben sie sich Knöchel und Handgelenke.
    »Helfen Sie mir wenigstens, ihn in unser Bett zu tragen«, meinte sie.
    »Was hat er?« erkundigte sich Laetitia.
    »Ein Unwohlsein. Es kommt zur Zeit immer häufiger. Mein Mann ist krank, schwer krank. Nur weil er gespürt hat, daß sein Tod nicht mehr weit ist, hat er sich Hals über Kopf in dieses Abenteuer gestürzt.«
    »Ich war Ärztin«, sagte Laetitia. »Wollen Sie, daß ich ihn abhöre? Ich kann ihm vielleicht helfen.«
    Die Frau machte ein trauriges Gesicht.
    »Nicht nötig. Ich weiß genau, woran er leidet. Krebs im Endstadium.«
    Vorsichtig legten sie Arthur auf die Bettdecke. Die Frau des Kranken bereitete eine Spritze mit einer Mischung aus Beruhigungsmitteln und Morphium.
    »Lassen wir ihn jetzt ausruhen. Er braucht Schlaf, um wieder ein bißchen zu Kräften zu kommen.«
    Jacques Méliès sah sie lange an.
    »Jetzt hab ich’s. Ich erkenne Sie wieder.«
    Im selben Moment löste sich in Laetitias Kopf dasselbe Signal. Natürlich – auch sie erkannte diese Frau wieder!
     

156. ENZYKLOPÄDIE
     
    GLEICHZEITIGKEIT: Ein wissenschaftliches Experiment, das 1901 gleichzeitig in mehreren Ländern durchgeführt wurde, zeigte, daß Mäuse bei einer Reihe von vorgegebenen

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