Der Tag der Ameisen
bloß, auf welche Weise es abgekartet ist. Ich begreife zum Beispiel nicht, warum sie so lang so getan haben, als könnten sie das Rätsel mit den Einsen, Zweien und Dreien nicht lösen.«
Die Antwort darauf war einfach.
»Weil die Goldgrube von Edmond Wells nicht unerschöpflich ist. Mit den Jokern kann ich das Spiel verlängern und trotzdem jeden Tag meine zehntausend Francs heimbringen!«
Die Gewinne ermöglichten dem Paar ein bequemes Leben, während Arthur bei der Weiterentwicklung seiner »Ameisen aus Stahl« und seines Dialogs zwischen den Arten Fortschritte machte. In der besten aller parallelen Welten ging alles gut, bis zu dem Tag, an dem Arthur bei einer Reklame im Fernsehen zu zittern anfing. Werbung für ein Produkt des LAC: »Kommt Krak-Krak vorbei, ist’s mit den Insekten vorbei.« In Großaufnahme wehrte sich eine Ameise gegen ein Gift, das sie von innen zerfraß.
Arthur war aufgebracht. Was für eine Gemeinheit, einen so winzigen Gegner zu vergiften! Eine der Ameisen aus Stahl war fertig. Er schickte sie auf der Stelle los, um die Labors des LAC auszuspionieren. Die mechanische Ameise entdeckte, daß die Brüder Salta zusammen mit internationalen Experten an einem noch gräßlicheren Projekt namens »Babel« arbeiteten.
Das Vorhaben war so abscheulich, daß sogar die berühmtesten Insektizidforscher unter vollkommener Geheimhaltung daran arbeiteten, aus Angst, die Umweltbewegungen gegen sich aufzubringen.
»Babel«, meinte Madame Ramirez, »ist das absolute Ameisenvernichtungsmittel. Die Chemiker haben es nie geschafft, mit herkömmlichen Giften auf der Basis von organischem Phosphor wirksam gegen die Ameisen vorzugehen. Babel ist aber gar kein Gift. Es ist vielmehr eine Substanz, welche die Antennenkontakte zwischen den Ameisen zu stören vermag.«
Im Endstadium war Babel ein Pulver, das man nur auf den Boden zu streuen brauchte, um seinen Geruch mit sämtlichen Ameisenpheromonen zu verbinden. Mit einem einzigen Gramm ließen sich ganze Quadratkilometer verseuchen. Alle Ameisen in der Gegend würden außerstande gesetzt, zu senden und zu empfangen. Ohne Verständigungsmöglichkeit aber weiß die einzelne Ameise nicht, ob ihre Königin lebt, was sie zu tun hat, was für sie gut oder gefährlich ist. Wenn man die gesamte Erdoberfläche mit diesem Produkt behandelte, gäbe es in fünf Jahren keine Ameisen mehr. Sie würden lieber sterben als einander nicht mehr verstehen.
Die Ameise ist nämlich ganz und gar auf Verständigung angewiesen!
Diese grundlegende Tatsache hatten die Brüder Salta und ihre Kollegen begriffen. Doch für sie waren die Ameisen nur Ungeziefer, das es auszurotten galt. Sie waren stolz darauf, herausgefunden zu haben, daß man bei den Ameisen nicht das Verdauungssystem, sondern das Gehirn vergiften mußte.
»Entsetzlich!« seufzte die Journalistin.
»Durch seine mechanische Spionin hatte mein Mann sämtliche Teile der Akte in der Hand. Diese Chemikerbande hatte die Absicht, ein für allemal die Ameisen von der Oberfläche der Erde zu tilgen.«
»Und in diesem Moment hat Monsieur Ramirez beschlossen, einzugreifen?« fragte der Kommissar.
»Ja.«
Laetitia und Méliès war bereits klar, wie Arthur vorgegangen war. Seine Frau bestätigte es: Er schickte eine Kundschafterin los, um ein Stück Stoff mit dem Körpergeruch des künftigen Opfers auszuschneiden. Dann ließ er das ganze Volk los, das den Träger des entsprechenden Dufts ins Jenseits beförderte.
Der Kommissar war sichtlich erfreut, richtig geraten zu haben, und meinte kennerisch: »Ihr Gatte hat die raffinierteste Mordtechnik erfunden, von der ich je gehört habe.«
Dieses Kompliment brachte Juliette Ramirez zum Erröten.
»Ich weiß nicht, wie die anderen vorgehen, aber unsere Methode hat sich jedenfalls als sehr effektiv erwiesen. Und wer hätte uns schon verdächtigen können? Wir hatten alle Alibis der Welt. Unsere Ameisen handelten unabhängig. Wir konnten Hunderte von Kilometern vom Schauplatz des Geschehens weg sein.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Ihre Killerameisen autonom waren?« staunte Laetitia.
»Selbstverständlich. Ameisen zu Hilfe zu nehmen ist nicht nur eine neue Mordtechnik, sondern auch eine neue Art, eine Aufgabe zu überdenken. Selbst wenn diese Aufgabe eine Todesmission ist! Das ist womöglich der Gipfel der künstlichen Intelligenz! Ihr Vater, Mademoiselle, hatte genau das begriffen. Er erklärt es in seinem Buch. Sehen Sie!«
Sie las ihnen den Abschnitt aus der Enzyklopädie vor,
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