Der Tag der Ameisen
Herrschaft über ihre Jagdgründe zu überlassen. Sie flüchteten vor ihren Tritten, lebten in der Furcht vor ihren hassenswerten Zweikämpfen, in deren Verlauf der Boden erbebte. Sogar die Termiten ließen ihre Mandibeln sinken.
Da gab eine Königin aus einem Nest von Magnan-Ameisen den Befehl aus: Alle Städte gemeinsam gegen diese Ungetüme.
Die Botschaft war einfach, sie verfehlte auf dem ganzen Planeten ihre Wirkung nicht. Die Ameisenhügel setzten ihren inneren Kriegen ein Ende. Keine Ameise durfte mehr eine andere Ameise töten, gleich welcher Art oder Größe. Das Große weltumspannende Bündnis war geboren.
Zwischen den Städten liefen Botinnen hin und her, um alle von den Stärken und Schwächen der Dinosaurier zu unterrichten. Diese Untiere schienen unangreifbar, doch jedes Tier hat seine Schwäche. So hat es die Natur gewollt. Diese Schwäche galt es zu entdecken, und wir haben sie entdeckt. Die Schwachstelle im Panzer war bei den Dinosauriern der Anus.
Man brauchte nur durch diese Pforte in sie einzudringen und sie von innen zu zerstören. Diese Nachricht verbreitete sich rasch. Überall stürzten sich die Ameisen auf diesen empfindlichen Weg. Reiterei, Fußvolk, Schützinnen bekämpften nicht mehr Krallen, Beine und Zähne, sondern Verdauungssäfte, weiße Blutkörperchen, Muskelreflexe.
Es gibt erschreckende Erzählungen von Heeren, die sich auf leisen Sohlen in die feindlichen Eingeweide wagten. Die Soldatinnen nahmen Biegung um Biegung im Dickdarm, als mit einemmal vom Ende des Tunnels eine tödliche Kugel auf sie zugeschossen kam: ein Kotfladen.
Die Kriegerinnen rannten davon, flüchteten in die Falten der Eingeweide. Manchmal blieb der Übelkeit erregende Brocken in einem Winkel stecken. Manchmal riß er das Heer mit und zermalmte es.
Zum Hauptgegner der Ameisenlegionen wurde der Mist.
Wieviel Tausende von Ameisen wurden von einer Kotlawine erschlagen! Wie viele ertranken in einer Flut schlammiger Brühe! Wie viele Kommandos erstickten an den Gasen eines einzigen Furzes!
Die meisten Ameisenlegionen schafften es jedoch, die Eingeweideröhren rechtzeitig zu durchbohren.
So brachen unter dem Ansturm der Winzlinge die Fleischberge der Saurier einer nach dem anderen zusammen.
Fleischfresser, Pflanzenfresser, solche mit gezackten Schwänzen, mit Lanzen, mit Hörnern, mit Giftdrüsen, mit Schuppenpanzern – alle erlagen sie den Millionen winziger entschlossener Chirurginnen. Ein einfaches Mandibelpaar erwies sich als viel wirkungsvoller als ein Horn, das größer war als ein Baum.
Die Ameisen brauchten ein paar hunderttausend Jahre, um allen Dinosauriern den Garaus zu machen.
Und dann merkten sie eines Tages im Frühling, daß der Himmel aufgeklart hatte. Es gab keine Dinosaurier mehr. Nur die kleinen Eidechsen waren verschont geblieben.
Chli-pu-ni löst ihre Antennen und geht nachdenklich in der Chemischen Bibliothek auf und ab.
Die Erde hatte also verschiedene Bewohner erlebt, die sich einer nach dem anderen als allmächtige Meister aufspielen wollten. Alle hatten sie ihre Ruhmestage gesehen, ehe die Ameisen ihnen wieder Bescheidenheit beigebracht hatten.
Die Ameisen sind die einzigen wahrhaften Besitzer der Erde.
Chli-pu-ni war stolz darauf, dieser Art anzugehören.
Wir Kleinen wissen, wie man die Großen erledigt, die sich als grausam erweisen. Wir Kleinen haben Verstand und können unlösbar scheinende Probleme lösen. Wir Kleinen brauchen uns von den lebenden Bergen, die sich für unfehlbar halten, keine Lektion erteilen zu lassen.
Die Ameisenzivilisation hat als einzige so lang überdauert, weil sie es verstanden hat, sich aller Konkurrenten zu entledigen.
Die Herrscherin bedauert es, die Finger, die unter dem Ameisenhügel lebten, nicht studiert zu haben. Wenn sie auf Nr. 103 gehört hätte, hätte sie durch Beobachtung deren Schwäche entdeckt, und der Kreuzzug wäre ruhmreich verlaufen, anstatt vernichtet zu werden.
Doch vielleicht ist es ja noch nicht zu spät? Vielleicht leben unter der Granitplatte ja noch ein paar Finger. Sie weiß, wieviel Mühe die Gottgläubigen sich gegeben haben, um ihnen Nahrung zu bringen.
Chli-pu-ni beschließt, in das Fingerium hinabzusteigen, um mit diesem Doktor Livingstone zu sprechen, den die Spioninnen so rühmen.
193. KREBS
Nr. 103 merkt, daß in der Welt der Finger etwas Ungewöhnliches vor sich geht. Da oben bewegen sich aufgeregt Schatten.
In der Luft liegt eine Art Todesgeruch. Sie fragt: Empfangen: Stimmt was nicht?
Senden:
Weitere Kostenlose Bücher