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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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sie!«
    »Was sollen wir nur tun? Was nur?«
    »Wir bringen sie durch und zwar schnell.«
    Sie waren überreizt und um so hilfloser, als sie sich doch so sehr gewünscht hatten, sie möge sich bewegen, und nun, da sie sich tatsächlich bewegt hatte, nicht wußten, wie sie sie retten sollten. Laetitia Wells hätte sie gern gestreichelt, sie beruhigt, sich entschuldigt. Aber für die Raum-Zeit-Dimension der Ameisen kam sie sich zu tolpatschig, zu linkisch vor, sie würde nur alles verschlimmern. In diesem Augenblick wäre sie gern eine Ameise gewesen, um sie zu lecken, ihr eine gute Trophallaxis zu verabreichen …
    Sie rief: »Nur eine Ameise kann sie retten, wir müssen sie zu den Ihren zurückbringen.«
    »Nein, sie ist voller parasitärer Gerüche. Nicht einmal eine Ameise aus ihrem eigenen Nest würde sie erkennen. Sie würden sie umbringen. Wir sind die einzigen, die etwas tun können.«
    »Wir brauchten mikroskopisch kleine Messer, Pinzetten …«
    »Wenn das alles ist, dann nichts wie los!« schrie Juliette Ramirez. »Schnell zurück nach Hause, vielleicht ist noch nicht alles verloren. Habt ihr noch eine Streichholzschachtel?«
    Wieder setzte Laetitia Wells Nr. 103 ungeheuer vorsichtig in eine Streichholzschachtel. Sie zwang sich, zu glauben, daß das Stück Taschentuch, mit dem sie diese ausgekleidet hatte, kein Leichentuch war, sondern ein Laken, daß sie keinen Sarg trug, sondern eine Krankenbahre.
     
    Nr. 103 sendet mit der Antennenspitze schwache Rufe aus, als wüßte sie, daß sie mit ihren Kräften am Ende ist, und als wollte sie ein letztes Lebewohl sagen.
     
    Sie kamen an die Oberfläche zurück, rannten und bemühten sich dabei, die Streichholzschachtel mit der Verletzten nicht zu sehr zu schütteln.
    Draußen warf Laetitia ihre Schuhe vor Wut in den Rinnstein.
    Sie hielten ein Taxi an, forderten den Fahrer auf, so schnell wie möglich und doch ohne allzugroße Erschütterungen zu fahren.
    Der Fahrer erkannte seine Fahrgäste wieder. Das waren die gleichen, die beim letztenmal verlangt hatten, daß er nicht schneller als 0,1 Stundenkilometer fuhr. Man gerät doch immer an dieselben Armleuchter. Entweder haben sie es nicht eilig genug oder zu eilig!
    Trotzdem raste er zur Adresse der Ramirez.

208. PHEROMON
    Pheromon: Zoologie
    Thema: Die Finger
    Speichlerin: Nr. 103 683
    Jahr: 100 000 667
    PANZER: Die Finger haben eine weiche Haut. Um sie zu schützen, bedecken sie sie mit Stücken aus geflochtenen Pflanzenfasern oder auch mit Metallstücken, die sie »Autos«
    nennen.
    GESCHÄFTE: Die Finger haben von Handelsbeziehungen keine Ahnung. Sie sind so naiv, daß sie ganze Schaufeln voll Nahrung gegen ein einziges Stück nicht eßbares buntes Papier tauschen. FARBE: Wenn man einem Finger länger als drei Minuten die Luft nimmt, verfärbt er sich.
    BALZVERHALTEN: Die Finger haben ein komplexes Balzverhalten. Zu diesem Zweck begeben sie sich oft an besondere Orte, die sie »Nachtlokale« nennen. Dort tummeln sie sich stundenlang miteinander und ahmen so den Geschlechtsakt nach. Wenn beide mit der Vorführung des anderen zufrieden sind, begeben sie sich anschließend in ein Zimmer, um sich fortzupflanzen.
    NAMEN: Die Finger nennen sich untereinander: Menschen.
    Und uns Erdbewohnerinnen nennen sie: Ameisen.
    BEZIEHUNGEN ZUR UMWELT: Ein Finger kümmert sich nur um sich selbst. Von Natur aus empfindet der Finger ein starkes Bedürfnis, alle anderen Finger zu töten. Die »Gesetze«, ein strenger, künstlich geschaffener Sozialcode, dienen dazu, ihre Mordgelüste zu mäßigen.
    SPEICHEL: Die Finger können sich mit ihrem Speichel nicht waschen. Um sich zu waschen, brauchen sie eine Maschine, die
    »Badewanne« heißt.
    WELTBILD: Die Finger glauben, daß die Erde rund ist und sich um die Sonne dreht!
    TIERE: Die Finger kennen die sie umgebende Natur sehr schlecht. Sie halten sich für die einzigen intelligenten Wesen.

209. OPERATION LETZTE CHANCE
    »Messer!«
    Jeder Wunsch von Arthur wurde sofort erfüllt.
    »Messer.«
    »Pinzette Nr. 1!«
    »Pinzette Nr. 1.«
    »Skalpell!«
    »Skalpell.« »Naht!«
    »Naht.«
    »Pinzette Nr. 8!«
    »Pinzette Nr. 8.«
    Arthur Ramirez operierte. Als die drei anderen mit der im Sterben liegenden Nr. 103 nach Hause zurückgekommen waren, war er wach gewesen und hatte sich von seiner Ohnmacht erholt. Er hatte sofort begriffen, was seine Gefährten von ihm erwarteten, und die Ärmel hochgekrempelt. Da er für diese heikle Operation alle seine Sinne beieinander behalten wollte, hatte

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