Der Tag der Ameisen
Im Fernsehen habe ich einen Bericht über eure großen Erfindungen gesehen. Sie beruhten immer auf Unfällen beim Hantieren: Töpfe, deren Dampf einen Deckel hochhob, von Kindern gebissene Hunde, Äpfel, die von einem Baum fielen, vom Zufall vermischte Produkte.
Um euer Krebsproblem zu lösen, hättet ihr Dichter anstellen sollen, Philosophen, Schriftsteller, Maler. Kurz, Schaffende voller Intuition und Inspiration. Nicht Leute, die alle Erfindungen ihrer Vorgänger auswendig gelernt haben.
Eure klassische Wissenschaft ist überholt.
Eure Vergangenheit hindert euch daran, eure Gegenwart zu sehen. Eure früheren Erfolge hindern euch daran, jetzt neue zu erringen. Eure einstigen Ruhmestaten sind eure schlimmsten Gegner. Ich habe eure Wissenschaftler im Fernsehen gesehen.
Sie wiederholen ständig nur Dogmen, und eure Schulen zügeln mit ihren auf immer erstarrten Versuchsprotokollen nur jegliche Vorstellungskraft. Dann unterzieht ihr eure Schüler Prüfungen, um sicherzugehen, daß sie sich nicht trauen, etwas daran zu ändern.
Darum bringt ihr es nicht fertig, den Krebs zu heilen. Für euch ist alles ähnlich. Weil man die Cholera mit einem bestimmten Mittel besiegt hat, kommt man mit dem gleichen Vorgehen auch zum Sieg über den Krebs.
Doch der Krebs verdient es, daß man sich mit ihm als solchem befaßt. Er ist eine Erscheinung für sich.
Ich will euch die Lösung sagen. Ich werde euch lehren, wie wir Ameisen, die ihr so spielend zertretet, das Krebsproblem gelöst haben.
Uns fiel auf, daß es unter uns ein paar seltene Individuen gab, die Krebs hatten, aber nicht daran starben. So haben wir, statt die vielen zu studieren, die daran starben, angefangen, jene wenigen zu studieren, die erkrankt waren und mit einemmal grundlos wieder gesund wurden. Wir haben nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen ihnen gesucht.
Wir haben lange gesucht, sehr lange. Und wir haben herausgefunden, was den meisten dieser »Wunderameisen«
gemeinsam war: eine höhere Verständigungsfähigkeit mit ihrer Umwelt, als die Durchschnittsameise sie hat.
Da kam uns eine Eingebung: Und wenn der Krebs ein Verständigungsproblem sein sollte? Der Verständigung mit wem, werdet ihr mich fragen. Nun ja, der Verständigung mit anderen Wesen.
Wir haben im Körper der Kranken nachgeforscht: dort waren keine Wesen aufzufinden. Keine Sporen, keine Mikroben, keine Würmer. Da hatte eine Ameise einen genialen Einfall: den Ausbreitungsrhythmus der Krankheit zu beobachten. Und wir haben herausgefunden, daß dieser Rhythmus eine Sprache war! Die Krankheit entwickelte sich anhand einer Welle, die sich als eine Art Sprache analysieren ließ.
Jetzt hatten wir also eine Sprache, doch noch keinen Sender.
Das war nicht wichtig. Wir haben die Sprache entziffert. Grob gesagt, bedeutete sie: »Wer seid ihr, wo bin ich?«
Da haben wir es begriffen. Die vom Krebs Betroffenen sind in Wirklichkeit unfreiwillige Behältnisse außerirdischer Wesen, die sich nicht erfassen lassen. Außerirdischer, die eigentlich nichts weiter als eine Verständigungswelle sind … Als die Welle auf die Erde kam, hatte sie keine andere Idee, um sich verständlich zu machen: sie reproduzierte, was sie umgab. Und da sie in lebenden Körpern landete, reproduzierte die Welle die Zellen, die sie umgaben, um Botschaften auszusenden wie:
»Hallo, wer seid ihr, unsere Absichten sind nicht feindlich, wie heißt euer Planet?«
Das war es, was uns umbrachte: Willkommensformeln, Fragen verirrter Touristen.
Und das bringt auch euch um.
Um Arthur Ramirez zu retten, müßt ihr einen »Stein der Weisen« herstellen wie den, der es euch ermöglicht, mit den Ameisen zu reden, doch diesmal, um die Sprache des Krebses zu übersetzen. Beobachtet seine Rhythmen, seine Welle, reproduziert sie, manipuliert sie, um eurerseits eine Antwort zu senden. Natürlich braucht ihr mir nicht zu glauben. Doch ihr verliert nichts, wenn ihr es mit dieser Methode versucht.
Von diesem merkwürdigen Vorschlag waren Jacques Méliès, Laetitia Wells und die Ramirez’ verwirrt. Mit dem Krebs sprechen …? Doch Arthur, der Meister der Heinzelmännchen, hatte nur noch ein paar Tage zu leben und das unter gräßlichen Bedingungen. Sicher sagte alles in ihnen: Das ist absurd. Diese Ameise hat kein Recht, uns Lektionen in Medizin zu erteilen.
Diese Argumentation ist völlig daneben. Doch Arthur würde sterben. Warum sollten sie es also nicht mit diesem auf den ersten Blick absurden Weg probieren? Sie würden ja sehen,
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