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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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hat, sendet sie sie mit ihrem ganzen Körper aus und alle Ameisen um sie herum nehmen sie zur gleichen Zeit wie sie selbst wahr. Eine Ameise in Bedrängnis teilt ihre Not sofort ihrer Umgebung mit, woraufhin die anderen alles unternehmen, ihr zu helfen und damit die leidvolle Botschaft zu beenden.
    Jedes der elf Antennensegmente schickt eine Wellenlänge an Duftworten aus, so als ob viele Stimmen gleichzeitig sprechen, jede auf ihrer eigenen Wellenlänge. Einige haben die Untertöne und geben die Grundinformationen aus, andere senden in den höheren Lagen die Zusatzinformationen.
    Die gleichen Segmente dienen als Ohren. So daß jeweils mit elf Mündern gesprochen und mit elf Ohren gehört wird. Das Ganze gleichzeitig. Infolgedessen sind die Unterhaltungen sehr nuancenreich. Bei einem Ameisengespräch erfährt man sicher elf mal so schnell elf mal so viele Dinge wie bei einem Menschengespräch. Wenn ein Mensch die Begegnung zweier Ameisen beobachtet, bekommt er daher den Eindruck, daß sie sich kaum mit den Antennenenden berühren, um gleich wieder ihrer jeweiligen Beschäftigung nachzugehen. Dennoch ist durch diesen winzigen Kontakt alles gesagt worden.
    Hinkend tritt eine Soldatin vor (sie hat nur fünf Beine) und fragt, ob sie nicht die alte Weggefährtin des Prinzen Nr. 327
    und der Prinzessin Chli-pu-ni sei.
    Nr. 103 683 bejaht dies.
    Die Hinkende erklärt ihr, daß sie sie lange gesucht habe, um sie zu töten. Aber mittlerweile habe sich die Lage verkehrt, und sie sendet einen höhnischen Duft aus:
    Jetzt sind wir die gesellschaftlichen Außenseiter und du bist die Norm.
    Die Zeiten ändern sich.
    Die Hinkende schlägt eine Trophallaxis vor. Ihre Gesprächspartnerin erklärt sich einverstanden, und beide küssen sich auf den Mund und streicheln sich die Antennen, bis die im Sozialkropf der Geberin gelagerte Nahrung sich ganz in den Magen von Nr. 103 683 geleert hat.
    Kommunizierende Röhren. Verdauungssysteme, die gleichfalls miteinander kommunizieren.
    Die Hinkende leert ihre Energie aus, die Besucherin füllt sich damit. Sie denkt an ein Ameisensprichwort aus dem 43.
    Jahrhundert zurück: Man bereichert sich an dem, was man gibt, und verarmt an dem, was man nimmt.
    Sie hätte die Gabe jedoch nicht zurückweisen können.
    Die Rebellinnen führen sie darauf in ihrem Schlupfwinkel herum. Dort finden sich Getreidespeicher, Honigtauvorräte, Eier voller Gedächtnispheromone.
    Nr. 103 683 weiß nicht warum, aber alle diese Verschwö-
    rerinnen erscheinen ihr gar nicht so fürchterlich. Sie wirken eher auf sie, als wollten sie vor allem ihr Geheimnis bewahren, und nicht wie nach politischer Macht dürstende Aufwieg-lerinnen.
    Die Hinkende kommt näher und macht ihr vertrauliche Mitteilungen. Früher seien die Rebellinnen unter einem anderen Namen bekannt gewesen. Sie seien die »Kriegerinnen mit dem Felsengeruch« gewesen, jene Geheimpolizei unter dem Befehl der Königin Belo-kiu-kiuni, der Mutter der jetzigen Königin Chli-pu-ni. Sie seien damals allmächtig gewesen und kurz davor, unter der großen Bodenplatte der Stadt eine parallele Geheimstadt anlegen zu können. Ein zweites Bel-o-kan.
    Die Hinkende gibt zu, daß sie, die Kriegerinnen mit dem Felsengeruch, diejenigen seien, die alles getan hätten, um den Prinzen Nr. 327, die Prinzessin Nr. 56 (Chli-pu-ni) und sie selbst, die Soldatin Nr. 103 683, zu beseitigen. Damals habe niemand gewußt, daß es die Finger tatsächlich gebe. Die Königin Belo-kiu-kiuni hatte fürchten müssen, ihre Untertaninnen würden von Panik ergriffen werden, wenn sie entdeckten, daß diese riesigen Tiere mit einer fast genauso entwickelten Intelligenz begabt seien wie die roten Ameisen.
    Belo-kiu-kiuni habe damals ein Abkommen mit dem Botschafter der Finger geschlossen: Sie würde jegliche Information in bezug auf die Existenz der Finger unterdrücken, und diese würden im Gegenzug über alles schweigen, was sie schon über die Intelligenz der Ameisen wußten oder in der Folgezeit erfahren würden. Jeder mußte dafür sorgen, die Seinen von dem Geheimnis fernzuhalten.
    Die Königin Belo-kiu-kiuni war der Meinung, daß die beiden Zivilisationen noch nicht so weit seien, einander zu verstehen.
    Sie beauftragte daher ihre Kriegerinnen mit dem Felsengeruch damit, alle auszuschalten, die die Existenz der Finger entdeckt hätten. Dieser Befehl forderte seinen Preis.
    Die Hinkende gibt zu, den fortpflanzungsfähigen Prinzen Nr.
    327 getötet zu haben, genauso wie Tausende weiterer Ameisen,

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