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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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beschmutzen entrinnt nichts. Ich bin sicher, daß die Marsianer nur deshalb nicht bei uns landen, weil sie Angst haben, daß wir mit ihnen genauso umgehen wie mit den Tieren um uns herum, ja sogar mit uns selbst. Ich bin nicht stolz darauf, ein Mensch zu sein. Ich habe Angst, große Angst vor meinesgleichen.«
    »Denken Sie wirklich, was Sie da sagen?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Vergleichen Sie die Zahl der Menschen, die von Wölfen getötet wurden, mit der Zahl von Menschen, die von Menschen getötet wurden: Finden Sie nicht, daß meine Angst, wie soll ich sagen, gerechtfertigter ist als Ihre?«
    »Sie haben Angst vor den Menschen? Aber Sie sind doch ein Mensch!«
    »Das weiß ich nur zu gut, und im übrigen habe ich auch manchmal Angst … vor mir selber.«
    Verblüfft betrachtete er ihre plötzlich haßverzerrten Züge.
    Mit einemmal entspannte sie sich.
    »Ach, denken wir an etwas anderes! Wir haben doch beide Rätsel gern. Das trifft sich gut, jetzt ist nämlich gerade Zeit für unsere landesweite Rätselsendung. Ich biete Ihnen das Gastlichste an, was es in unserer Zeit gibt, ein wenig mit mir fernzusehen.«
    »Danke«, sagte er.
    Sie spielte an ihrer Fernbedienung und suchte »Denkfalle«.
     

57. ENZYKLOPÄDIE
     
    KRÄFTEBERICHT: An Ratten wurde folgendes Experiment vorgenommen. Um ihre Schwimmfähigkeit zu testen, sperrte Didier Desor, ein Forscher des Labors für Verhaltensbiologie an der Universität Nancy, sechs von ihnen in einen Käfig, dessen einziger Ausgang auf ein Bassin ging, das sie durchqueren mußten, um zu einem Futterverteiler zu gelangen.
    Schnell stellte sich heraus, daß die sechs Ratten das Futter nicht gemeinsam schwimmend aufsuchten. Es ergab sich folgende Rollenverteilung: zwei ausgebeutete Schwimmerinnen, zwei ausbeutende Nichtschwimmerinnen, eine unabhängige Schwimmerin und eine Nichtschwimmerin als Prügelknabe. Die beiden Ausgebeuteten holten sich das Futter, indem sie unter Wasser schwammen. Wenn sie in den Käfig zurückkamen, hielten ihnen die Ausbeuterinnen die Köpfe so lang unter Wasser, bis sie ihre Beute hergaben. Erst als sie die beiden Ausbeuterinnen gefüttert hatten, konnten die beiden Ausgebeuteten ihren eigenen Anteil verzehren. Die Ausbeuterinnen schwammen nie, sie begnügten sich damit, die Schwimmerinnen zu schlagen, um an Futter zu kommen. Die Unabhängige war eine ausreichend kräftige Schwimmerin, um den Ausbeuterinnen zu widerstehen. Der Prügelknabe schließlich war zum Schwimmen nicht in der Lage und genausowenig dazu, die Schwimmer einzuschüchtern, daher sammelte diese Ratte die bei den Kämpfen abfallenden Brosamen. Die gleiche Struktur – zwei Ausgebeutete, zwei Ausbeuterinnen, eine Unabhängige und ein Prügelknabe –
    zeigte sich in allen zwanzig Käfigen, mit denen das Experiment wiederholt wurde. Um den Mechanismus dieser Hierarchie besser zu verstehen, wurden sechs Ausbeuterinnen zusammen-gesperrt. Sie kämpften die ganze Nacht. Am Morgen leisteten zwei von ihnen Frondienste, eine schwamm allein, eine andere ertrug alles. Genauso wurde mit den Ratten, die sich unterwarfen, verfahren. Am nächsten Morgen spielten zwei von ihnen die Paschas.
    Doch was einem wirklich Anlaß zum Nachdenken gibt, ist, daß man, als die Rattenschädel geöffnet wurden, um das Gehirn zu untersuchen, feststellte, daß die am meisten gestreßten die Ausbeuterinnen waren. Sie hatten offenbar Angst gehabt, daß ihnen die Ausgebeuteten nicht mehr gehorchen.
    Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Bd. 2

58. IM TROCKENEN
    Das Wasser leckt ihnen den Rücken. Nr. 103 683 und ihre Gefährtinnen graben wie wild in der Decke. Alle Körper sind von brauner Gischt bedeckt, als sie endlich, was für ein Wunder!, in einem trockenen Raum herauskommen.
    Gerettet.
    Schnell dichten sie den Eingang ab. Wird das Sandmäuerchen halten? Ja, der Sturzbach fließt daran vorbei und ergießt sich in schwächere Gänge. In dem kleinen Saal aneinandergequetscht, fühlen sich die Ameisen der Gruppe schon besser.
    Die Rebellinnen zählen durch: nur etwa fünfzig von ihnen haben überlebt. Eine Handvoll Gottgläubiger murmelt noch immer: Wir haben den Fingern nicht genug Nahrung gebracht.
    Darum haben sie den Himmel geöffnet.
    In der Weltsicht der Ameisen ist der Planet Erde nämlich ein Würfel, der von einer Wolkendecke überwölbt wird, die den
    »Oberen Ozean« hält. Jedesmal wenn das Gewicht des oberen Ozeans zu schwer wird, reißt die Decke auf und läßt das fallen,

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