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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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was dann Regen heißt.
    Die Gottgläubigen behaupten ihrerseits, daß diese Risse in der Wolkendecke auf Krallenschläge der Finger zurückzuführen seien. Wie dem auch sei und in Erwartung besserer Tage helfen alle einander, so gut sie können. Manche geben sich Mund an Mund Trophallaxien hin. Andere reiben sich aneinander, um ihre Wärmereserven zu schonen.
    Nr. 103 683 drückt ihre Mundtaster an die Wand, spürt die Stadt noch immer unter den Angriffen des Wassers beben.
    In Bel-o-kan rührt sich nichts mehr. Die Stadt ist von diesem vielgestaltigen Feind geschlagen, der seine durchsichtigen Beine in jede Ritze steckt. Verflucht sei der Regen, der noch gewandter, noch anpassungsfähiger, noch bescheidener ist als die Ameisen. Naive Soldatinnen schlitzen mit Mandibelhieben die Tropfen auf, die auf sie zukullern. Wenn man einen davon umbringt, hat man es anschließend mit vieren zu tun. Wenn man dem Regen einen Tritt versetzt, hält er einem das Bein fest. Wenn man mit Säure auf den Regen schießt, wird der Regen kräftiger. Wenn man den Regen rammt, umschließt er einen und hält einen gefangen.
    Die Opfer der Überschwemmung sind nicht mehr zu zählen.
    Alle Poren der Stadt stehen weit offen.
    Bel-o-kan ertrinkt.

59. FERNSEHEN
    Auf dem Bildschirm erscheint das unruhige Gesicht von Madame Ramirez. Seitdem sie bei ihrem neuen Rätsel daneben gegriffen hat, dieser Zahlenfolge, hat sich die Zuschauerrate verdoppelt. War es das sadistische Vergnügen, jemanden bis dahin Unfehlbaren plötzlich wanken zu sehen? Oder lag es daran, daß das Publikum, weil es sich leichter mit den Verlierern identifizieren kann, diesen oft den Vorzug vor den Gewinnern gibt?
    Mit seiner wie üblich guten Laune fragte der Moderator:
    »Also, Madame Ramirez, haben Sie die Lösung gefunden?«
    »Nein. Noch immer nicht.«
    »Konzentrieren Sie sich, Madame Ramirez! Woran müssen Sie bei unserer Ziffernfolge denken?«
    Die Kamera schwenkte erst auf die Tafel, dann auf Madame Ramirez, die grüblerisch meinte: »Je länger ich mir diese Folge ansehe, desto verwirrter werde ich. Das ist etwas Besonderes, ganz Besonderes. Trotzdem scheinen sich mir bestimmte Rhythmen zu wiederholen … Die Eins steht immer am Ende
    … Gruppen von Zweien in der Mitte …«
    Sie ging näher an die Tafel, auf der die Ziffern standen, und machte wie eine Schulmeisterin Bemerkungen: »Man könnte an eine Exponentialfolge denken. Aber es ist eigentlich keine.
    Ich hatte an eine Ordnung zwischen den Einsen und den Zweien gedacht, doch da taucht die Ziffer Drei auf und breitet sich ebenfalls aus. Dann habe ich vermutet, daß es vielleicht gar keine Ordnung gibt. Wir haben es mit einer Welt voller Chaos zu tun, mit zufällig verteilten Ziffern. Dennoch sagt mir mein weiblicher Instinkt, daß das nicht stimmt, daß ihre Reihenfolge nicht dem Zufall entspringt.«
    »Also, woran müssen Sie bei dieser Tafel denken, Madame Ramirez?«
    Das Gesicht von Madame Ramirez hellte sich auf: »Jetzt werden Sie lachen«, sagte sie. Der Saal brach in Beifall aus.
    »Lassen Sie Madame Ramirez nachdenken«, schaltete der Moderator sich ein. »Sie denkt an etwas. An was, Madame Ramirez?«
    »An die Entstehung des Universums«, sagte sie mit einem Stirnrunzeln. »Ich denke an die Entstehung des Universums.
    Die Eins ist der göttliche Funke, der auflodert und sich dann teilt. Ist es möglich, daß Sie mir als Rätsel die mathematische Gleichung vorlegen, die das Universum beherrscht? Was Einstein sein Leben lang vergebens gesucht hat? Den Gral aller Physiker der Welt?«
    Endlich einmal machte der Moderator ein geheimnisvolles Gesicht, das ganz dem Gegenstand seiner Aufgabe entsprach.
    »Wer weiß, Madame Ramirez! ›Denk…‹«
    »…falle‹!« schrie das Publikum wie aus einem Mund.
    »Ja, ›Denkfalle‹ kennt keine Grenzen. Also, Madame Ramirez, Antwort oder Joker?«
    »Joker. Ich brauche eine zusätzliche Information.«
    »Tafel!« verlangte der Moderator. Er trat vor die bekannte Auflistung:
     
     
    l
    11
    21
    1211
    111221
    312211
    13112221
     
    Dann schrieb er, wieder ohne auf seinen Zettel zu schauen, dazu:
    1113213211
    »Ich erinnere an die Schlüsselsätze. Der erste lautete: ›Je intelligenter man ist, desto weniger Lösungschancen hat man.‹
    Der zweite lautete: ›Alles vergessen, was man gelernt hat.‹
    Und jetzt biete ich Ihrem Scharfsinn einen dritten an: ›Wie beim Universum ist die Quelle dieses Rätsels vollkommene Einfachheit.« Beifall.
    »Darf ich Ihnen einen Rat

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