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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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aber ihrer Kenntnis nach gebe es keine Möglichkeit, Ameisen so abzurichten, daß man ihnen befehlen könne, in ein Hotel zu gehen, das richtige Zimmer zu suchen, dort jemanden zu töten und dann in aller Ruhe wieder in ihren Ameisenhaufen zurückzukehren.
    »Doch, die Möglichkeit muß es geben. Und ich werde sie finden. Da bin ich mir sicher.«
    Jacques Méliès schlug die Hände zusammen. Er war mit sich zufrieden.
    »Sehen Sie, man braucht sich gar nicht die Krimis im Jahr 5000 vorzustellen! Ein bißchen Köpfchen und gesunder Menschenverstand reichen schon«, erklärte er.
    Nun runzelte Laetitia Wells die Stirn.
    »Bravo, Kommissar. Es scheint, als hätten Sie ins Schwarze getroffen.«
    Méliès verabschiedete sich. Sein erstes Ziel war, daß er sich bei dem Gerichtsmediziner erkundigen wollte, ob die inneren Verletzungen seiner Opfer von Ameisenkiefern verursacht sein konnten.
    Wieder allein, zog Laetitia Wells mit besorgter Miene den Schlüssel hervor, mit dem sich die schwarze Lacktür aufschließen ließ, schnitt einen Apfel in feine Scheiben und gab den fünftausend Ameisen ihres Terrariums zu fressen.

72. WIR SIND ALLE AMEISEN
    Jonathan Wells hatte in der Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens einen Abschnitt gefunden, der davon berichtete, daß es vor mehreren tausend Jahren auf einer Pazifikinsel Ameisenanbeter gegeben habe. Laut Edmond Wells hatten diese Menschen außergewöhnliche psychische Fähigkeiten entwickelt, indem sie ihre Nahrungsaufnahme verringerten und meditierten.
    Ihre Gemeinschaft sei aus unbekannten Gründen erloschen und mit ihr ihre Geheimnisse und Mysterien.
    Nach reiflicher Überlegung hatten die siebzehn Bewohner des unterirdischen Tempels beschlossen, sich an diese Erfahrung anzulehnen, ob sie nun auf Tatsachen beruhte oder nicht.
    Der spürbarer werdende Mangel an Nahrungsmitteln zwang sie, mit ihrer Energie zu haushalten. Die geringste Bewegung wog schwer. Sie sprachen immer weniger, aber verstanden einander paradoxerweise immer besser. Ein Blick, ein Lächeln, eine Bewegung mit dem Kinn genügten, um sich zu verständigen. Ihre Aufmerksamkeit war erheblich größer geworden. Beim Gehen waren sie sich jedes Muskels bewußt, jeder in Bewegung gesetzten Sehne. In Gedanken folgten sie dem Hin und Her ihres Atems.
    Ihr Geruchssinn und ihr Gehör hatten jene Schärfe gewonnen, die man gewöhnlich nur den Tieren und Steinzeitmenschen zuschreibt. Und ihren Geschmackssinn hatte das chronische Fasten geschärft. Sogar die kollektiven oder individuellen Halluzinationen, die von der Unterernährung hervorgerufen wurden, hatten ihren Sinn.
    Als Lucie Wells zum ersten Mal gewahr wurde, daß sie direkt in den Gedanken der anderen las, war sie entsetzt. Das Phänomen kam ihr unanständig vor. Aber da es sich um den so rechtschaffenen Verstand von Jason Bragel handelte, fand sie Gefallen daran, sich darin zu vertiefen.
    Die Nahrungsmittel wurden tagtäglich weniger und die psychischen Erfahrungen immer stärker. Nicht unbedingt zum Besseren. An körperliche Aktivitäten und frische Luft gewöhnt, unterdrückten die ehemaligen Feuerwehrleute und Polizisten manchmal Anfälle von Wut oder Klaustrophobie.
    Abgemagert, ausgezehrt, das Gesicht beherrscht von den glänzender und dunkler gewordenen Augen, wurden alle so unkenntlich, daß sie einander schließlich gleichsahen. Man könnte sagen, sie hatten aufeinander abgefärbt. (Nur Nicolas Wells, der wegen seines jugendlichen Alters besser ernährt wurde, unterschied sich noch deutlich von den anderen.) Sie mieden die aufrechte Haltung (die für entkräftete Menschen zu anstrengend ist) und saßen lieber im Schneidersitz oder gingen sogar auf allen vieren. Nach und nach folgte der Angst der ersten Tage eine Art Heiterkeit.
    Handelte es sich dabei um eine Form von Wahnsinn?
    Und dann hatte plötzlich eines Morgens der Drucker des Computers gesurrt. Eine Gruppe von Rebellinnen der roten Stadt Bel-o-kan wollte den nach dem Tod der vorigen Königin unterbrochenen Kontakt wiederaufnehmen. Sie bedienten sich dazu der Sonde Doktor Livingstone. Sie wollten den Menschen helfen. Tatsächlich kamen die ersten Nahrungsmittelhilfen durch den Spalt, der sich durch die Granitplatte über ihnen zog.

73. MUTATION
    Dank der Unterstützung durch die Pro-Finger-Rebellinnen wußten Augusta Wells und ihre Gefährten jetzt, daß sie lange überleben konnten. Sie hatten ihre Ernährung auf einem niedrigen, aber regelmäßigen Niveau stabilisiert. Sie waren

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