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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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kilometerweit geradeaus graben, ohne etwas zu finden, und würde dann mit Sicherheit vor Hunger und Erschöpfung sterben. Das Leben in der Gemeinschaft vervielfacht die Chancen, etwas zum Fressen zu finden, um so mehr, als die kleinste Knolle, die gefunden wird, zu gleichen Stücken unter allen verteilt wird.
    Der einzige bemerkenswerte Unterschied zu den Ameisen: die Männchen überleben die Begattung.
    Edmond Wells Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Bd. 2

75. AM MORGEN
    Eine sehr schwere, rosafarbene Kugel nähert sich. Sie sendet ihr die Botschaft »Ich bin deinem Volk nicht feindlich gesinnt«, aber die Kugel bleibt nicht stehen und zerdrückt sie.
    Mit einem Schlag erwacht Nr. 103 683. Wegen ihrer ständigen Alpträume hat sie ihren Körper darauf programmiert, ihre Schlafdauer zu beschränken und bei der geringsten Temperaturschwankung aufzuwachen.
    Schon wieder hat sie von den Fingern geträumt. Sie darf nicht mehr an sie denken. Wenn sie vor den Fingern Angst hat, kann sie diese im entscheidenden Augenblick nicht richtig bekämpfen, denn ihre Angst wird sie vom Kampf ablenken.
    Sie erinnert sich an eine Ameisensage, die Mutter Belo-kiu-kiuni damals ihren Schwestern und ihr erzählt hat. Die Duftworte sind in ihrer Vorerinnerung noch da, und sie braucht ihnen nur einen Hauch Feuchtigkeit zu geben, damit sie wieder voll erwachen.
    »Eines Tages lag Gum-gum-ni, eine Königin unserer Dynastie, voller Sehnsucht in ihrer Gebärkammer. Sie war an Seelenstimmungen erkrankt. Drei Fragen vernebelten ihre Gedanken und erforderten ihr ganzes Denkvermögen: Was ist der wichtigste Augenblick im Leben?
    Was ist die wichtigste Sache, die es zu vollbringen gilt?
    Was ist das Geheimnis des Wohlbefindens?
    Sie sprach mit ihren Schwestern darüber, ihren Töchtern, mit den fruchtbarsten Geistern der Föderation, ohne eine Antwort zu bekommen, die sie zufriedengestellt hätte. Man sagte ihr, daß sie krank sei, daß die drei Fragen, die sie beschäftigten, für das Überleben des Volkes nicht von entscheidender Bedeutung waren.
    So zurückgewiesen, fiel die Königin dem Siechtum anheim.
    Das Volk machte sich Sorgen. Wenn die Stadt nicht ihre einzige Gebärerin verlieren wollte, mußte sie sich, und das zum erstenmal, ernsthaft mit abstrakten Problemen beschäftigen.
    Der wichtigste Augenblick? Die wichtigste Sache? Das Geheimnis des Wohlbefindens?
    Alle boten Antworten an.
    Der wichtigste Augenblick sei, wenn man esse, weil die Nahrung Energie zuführe … Die wichtigste Sache, die es zu tun gelte, sei, sich fortzupflanzen, um die Art zu erhalten und die Masse der Soldatinnen zu vermehren, die die Stadt verteidigten … Das Geheimnis des Wohlbefindens sei die Wärme, denn die Wärme sei die Quelle chemischer Fülle …
    Keine der Lösungen stellte die Königin Gum-gum-ni zufrieden. Also verließ sie ihr Nest und brach allein in die Große Außenwelt auf. Dort mußte sie sich ihr Überleben schwer erkämpfen. Als sie drei Tage später zurückkehrte, befand sich ihre Gemeinschaft in einem beklagenswerten Zustand. Doch die Königin hatte ihre Antworten. Die Erleuchtung war ihr mitten in einem erbarmungslosen Scharmützel mit wilden Ameisen gekommen. Der wichtigste Augenblick sei das Jetzt, denn man könne nur an der Gegenwart etwas ändern. Und wenn man sich nicht mehr um seine Gegenwart kümmere, verpasse man auch seine Zukunft.
    Die wichtigste Sache sei es, sich dem zu stellen, was da sei.
    Wenn die Königin sich nicht der Ameise entledigt hätte, die sie habe töten wollen, wäre sie selbst ums Leben gekommen. Und das Geheimnis des Wohlbefindens hatte sie nach dem Kampf entdeckt: Es bestehe darin, am Leben zu sein und auf der Erde zu wandeln. Ganz einfach.
    Den gegenwärtigen Moment auskosten.
    Sich mit dem auseinandersetzen, was wir vor Augen haben.
    Auf Erden wandeln.
    Das sind die drei großen Lebensrezepte, die uns Königin Gum-gum-ni hinterlassen hat.«
    Nr. 24 gesellt sich zu der Soldatin.
    Sie will sich zu ihrem Glauben an die »Götter« äußern.
    Nr. l03 683 braucht keine Erklärung, sie gebietet ihr mit einer Antennenbewegung Schweigen und lädt sie ein, mit ihr ein paar Schritte vor der föderierten Stadt spazierenzugehen.
    Schön hier, was?
    Nr. 24 gibt keine Antwort. Nr. 103 683 sagt ihr, daß sie zwar hier seien, um auf die Finger zu treffen und sie zu töten, daß es aber auch andere wichtige Dinge gebe: dazusein, zu reisen.
    Vielleicht sei der beste Augenblick ja nicht, wenn sie die Mission

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