Der Tag der Dissonanz
gebracht 'at. Ob's mir nun paßt oder nich, dieses verdammte Ektikett 'aftet mir jetzt auch an. Also überleg dir was! Was Wirkungsvolles, und zwar dalli!«
»Ich weiß aber nichts.« Jon-Tom kämpfte mit seinem Gedächtnis. »Ich weiß praktisch nur was über Hard Rock.« Und ungeduldig erklärte er dem fragend dreinblickenden Mudge: »Das ist eine Bezeichnung für eine bestimmte beliebte Musikrichtung. Du hast mich das schon singen hören.«
»Ja, und ich will nich be'aupten, daß ich auch nur ein Wort davon verstanden 'ab.«
»Dann hast du etwas mit meinen Eltern gemeinsam.« Sie wurden vom Geräusch von Schritten unterbrochen, die die Treppe herabkamen.
»Solltest dir schnell was einfallen lassen, Kumpel!«
»Ich versuch's.« Jon-Tom streckte die Arme durch die Gitterstäbe und wartete hoffnungsfroh ab. Als er die unbeschädigte Duar erblickte, die von einer der Pranken des Wärters herabbaumelte, frohlockte er innerlich.
»Es war kein Gold da«, meldete der Wärter säuerlich. »Das tut mir leid.« Mudge seufzte verkrampft. »Na, was anderes konnte man von 'nem alten Raffzahn wie Zancresta wohl kaum erwarten. Aber 's 'at ja nich geschadet, mal zu gucken, wa?«
»Worüber habt ihr gesprochen, als ich weg war? Ich habe euch sprechen gehört.« Der Stacheleber wirkte mißtrauisch.
»Nich viel, Kumpel. Nur 'n bißchen geplaudert. Wir unter'alten uns ja auch, wenn du da bist, oder?«
»Ja, das stimmt. Also gut.« Er trat vor und wollte Jon-Tom die Duar reichen, doch dann zögerte er. »Ich weiß ja nicht.«
»Ach, komm schon!« drängte Jon-Tom mit einem riesigen Lächeln, das auf seinem Gesicht festgefroren war. »Ein bißchen Musik wäre doch wirklich ganz nett. Hat schließlich nicht jeder Gelegenheit, einen Bannsängerlehrling zu hören, wie er Musik einfach nur zum Vergnügen macht.«
»Das ist es ja gerade.« Der Wärter wich zurück und wühlte in einer Holztruhe. Als er zurückkehrte, legte er Jon-Tom dicke lederne Handschellen an, die durch eine Kette miteinander verbunden waren. Außerdem befestigte er zu Jon-Toms Entsetzen ein dickes Seil am Hals der Duar.
»So«, sagte er zufrieden und reichte ihm das Instrument. Jon- Toms Finger schlossen sich dankbar um die vertraute Holzfläche und streichelte die doppelte Saitenreihe.
Der Wärter kehrte zu seinem Stuhl zurück und hielt dabei mit eisernem Griff das Seilende fest. »Wenn du irgendwas Komisches versuchen solltest, brauche ich nicht mal zu dir rüberzulaufen. Ich brauche bloß am Seil zu ziehen.« Er ruckte versuchshalber an dem Seil, und Jon-Tom konnte nur mit Mühe sein Instrument festhalten.
»Ein bißchen lockerer mußt du es schon lassen«, bat er, »sonst kann ich ja überhaupt nicht spielen.«
»Na schön.« Der Wärter lockerte den Griff ein wenig. »Aber wenn du mich reinlegen willst, reiße ich dir das Ding aus der Hand und schmettere es zu Boden.«
»Keine Sorge! So etwas würde ich nie versuchen. Nicht wahr, Mudge?«
»O nein, niemals! Nich nachdem du diesem Gentlewesen dein Wort gegeben ‘ast.« Der Otter spielte den Niedergeschlagenen, als er sich auf dem Boden niederließ, um zuzuhören. »Spiel uns 'n Wiegenlied, Jon-Tom. Was Beru'igen des und Entspannendes, damit wir die Sorgen, die uns drücken, und die Probleme der Welt vergessen.«
»Ja, spiel etwas in der Art!« bat der Wärter. Jon-Tom kämpfte mit sich selbst. Es war wohl das beste, wenn er zuerst ein paar harmlose Liedchen spielte, um diesen Blödmann in falsche Sicherheit zu wiegen. Das Problem war nur, daß er sich eher auf Heavy Metal spezialisiert hatte und deshalb ungefähr genauso viele sanfte Songs kannte wie Opernarien. Irgendwie schienen die Stücke von Ozzy Osbourne oder Ted Nugent nicht ganz angebracht, und auch nichts von KISS. Er überlegte, ob er ›Dirty Deeds Done Dirt Cheap‹ von AC/DC spielen sollte, doch dann kam er zu dem Schluß, daß ihn schon eine einzige Strophe davon für alle Zeiten die Kontrolle über die Duar kosten würde.
Er entschied sich dafür, es mit ein paar goldenen Oldies zu versuchen. Vielleicht einige Songs von Roy Orbison, auch wenn seine Stimme dafür nicht ganz die richtige war. Es schien zu funktionieren. Der Wärter lehnte sich faul in seinem Stuhl zurück, offensichtlich zufrieden, doch das Seil immer noch fest in der Hand.
Jon-Tom ging in den Teil eines Songs über, dessen Text ›The day you walked out on me‹ * lautete, doch der Wärter rührte sich nicht; leider öffneten sich aber auch die Mauern nicht, um
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