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Der Tag der Dissonanz

Der Tag der Dissonanz

Titel: Der Tag der Dissonanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Dean Foster
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einen, wenn man seine Lektionen nicht gelernt hat, sie schlagen einen, wenn man bei Tisch das Messer nicht richtig hält, sie schlagen einen, wenn man nicht ›Ja, mein Herr‹ oder ›Nein, meine Dame‹ sagt, und manchmal, glaube ich, nur so zum Spaß, um einen daran zu erinnern, wie böse die Welt draußen ist.« Sie grub ihre Nägel in seinen Arm.
    »Du mußt mich hier rausholen, Jon-Tom!« Wieviel von ihren Behauptungen stimmte, konnte er nicht sagen, aber die Verzweiflung in ihrer Stimme war wirklich echt.
    Mudge behielt eine Pranke auf dem Griff seines Kurzschwerts. »Entscheiden wir uns endlich, Kumpel. Einige von diesen Rangen werden schon unru'ig.«
    »Ich bin schon wach.« Jon-Tom blickte zu dem Bett neben Wahnwitz' hinüber. Darin lag eine junge Zwergtigerkatze, die sich nun aufsetzte und sich die Augen rieb. Sie trug das gleiche schwarze Nachthemd wie Wahnwitz.
    »Stimmt das, was Wahnwitz sagte?« fragte er die junge Katze.
    »Wer... wer seid ihr?« fragte das nun endgültig wachgewordene Junge. Wahnwitz beruhigte die Katze hastig.
    »Ist schon in Ordnung, es sind Freunde von mir.«
    »Wer bist du denn?« konterte Jon-Tom.
    »Ich heiße Mylean.« Zu seiner Überraschung begann sie zu schniefen. Er hatte noch nie eine Katze weinen sehen. »Bitte, mein Herr, können Sie mich vielleicht auch hier rausholen?«
    Und plötzlich wurde er von einer ganzen Salve ängstlich flüsternder Stimmen bedrängt.
    »Mich auch bitte... und mich... ich auch...!«
    Der ganze Schlafsaal war wach und scharte sich nun um Wahnwitz' Bett, griff nach den Erwachsenen, flehte in Dutzenden von Dialekten um Hilfe. Nervös zuckten Schwänze aus den Hinterteilen Dutzender von schwarzer Nachthemden.
    »Ich begreife das nicht«, murmelte Jon-Tom. »Sieht doch alles so hübsch aus hier. Aber wenn sie euch die ganze Zeit schlagen, ist das natürlich nicht in Ordnung.«
    »Das ist noch nicht alles«, meinte Wahnwitz. »Hast du nicht bemerkt, wie perfekt hier alles ist?«
    »Sauber, meinst du?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht nur sauber. Es ist steril. Wehe, wenn wir mit einem Schmutzfleck oder einem schmutzigen Stück Wäsche erwischt werden! Wir sollen perfekt geschniegelt zu den Mahlzeiten erscheinen, perfekt geschniegelt beim Lernen sein und perfekt geschniegelt bei den Andachten, damit wir mal zu perfekten Staatsbürgern werden, wenn wir alt genug geworden sind, um wieder auf die Straße hinausgeworfen zu werden.
    Ein ganzer Haufen von den Aufsehern hier sind selbst hier groß geworden, und das ist das einzige Zuhause, das sie kennen. Das sind die allerschlimmsten. Wir tragen immer nur Schwarz, weil eine perfekte Person keine Ablenkungen duldet, und Farben lenken nun mal ab. Es gibt hier überhaupt keine Ablenkungen: kein Tanzen, kein Singen, überhaupt keinerlei Feiern. Diese Witze, die die Piraten sich erzählten, waren ja vielleicht ziemlich derb und primitiv, aber die hatten wenigstens Sinn für Humor. Hier gibt es überhaupt keinen Humor.«
    Mylean war aus dem Bett geschlüpft und schmiegte sich nun eng an Wahnwitz. »Das andere«, flüsterte sie drängend, »erzähl ihnen von der anderen Sache!«
    »Darauf wollte ich gerade kommen.« Wahnwitz spähte nervös durch den Saal. »Weil eine perfekte Person keine albernen Sachen wie Vergnügungen und Spaß braucht, sorgen sie mit als erstes dafür, daß man in dieser Hinsicht auch ja perfekt gemacht wird.«
    Mudge runzelte die Stirn. »Kannst du das mal erklären, Liebchen?«
    »Ich meine, sie sorgen dafür, daß man von keinerlei angenehmen Ablenkungen mehr befallen wird.« Der Otter gaffte sie fassungslos an, dann zeigte er mit ausladender Gebärde auf die schlurfende und scharrende Menge verängstigter, schwarzgekleideter Kinder und Jugendlicher.
    »Was is'n das für verdammtes 'öllen'aus, in das wir 'ier 'inein gestolpert sind? Soll das etwa 'eißen, daß jeder von denen da...?«
    Wahnwitz nickte heftig. »Die meisten, ja. Die männlichen Insassen werden kastriert und die weiblichen amputiert. Um ihre Vollkommenheit nicht durch sinnliche Ablenkungen zu gefährden. Morgen soll ich operiert werden.«
    »Gegen deinen Willen?« Jon-Tom hatte Schwierigkeiten, mit diesem neuen, eiskalten Schrecken zurechtzukommen.
    »Was könnten wir schon dagegen tun?« Mylean schluchzte leise. »Wer hätte denn für uns Einspruch erheben können? Wir sind alles Waisen, keiner von uns hat auch nur einen Vormund. Und bei den Leuten, die die Stadtregierung stellen, haben die Freunde der Straße

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