Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Knochenenden unter seiner Haut, als würde dem Gebein der Halt fehlen. Zischend entwich der Atem zwischen seinen zerfetzten Lippen.
Jemand hatte ihm eine Krücke gebracht. Der Scharfrichter umklammerte sie mit beiden Händen, stützte sich darauf und zog sich voran. Ein Spalier von Gnomen ging ihm voran, ein weiteres folgte ihm. Sie hielten schussbereite Armbrüste auf die gedemütigte Kreatur gerichtet, die so erbärmlich aussah und der doch niemand traute.
Das Publikum murmelte, Pfiffe wurden laut. Ein Stein flog in Richtung des Scharfrichters, verfehlte ihn und flog in die Menge auf der anderen Seite. Dort verbreitete sich Unruhe.
»He!«, brüllte Darnamur. »Ordnung!«
Einige Goblins hoben die Schilde und drängten die Menge zurück. Die Unruhe erstarb wieder zu einem Murmeln.
»Ich hasse diesen Burschen«, sagte Darnamur zu Dranjar. »Er blutet nicht einmal. Wenn das heute vorüber ist, werde ich schon einen Weg finden, ihm Schmerzen zu bereiten.«
»Brauchen wir ihn nicht noch?«, fragte Dranjar. »Wir wollen unsere Kameraden ja wieder aus dem Labyrinth herausholen, und er kann als Einziger die Tür dorthin öffnen.«
»Ich werde ausprobieren, wie viel von ihm übrig sein muss, um diese Tür zu öffnen«, zischte Darnamur. »Und unsere Kameraden sollten nicht zu lange brauchen, um sie zu erreichen.«
»Ich würde ihn gleich erschlagen«, sagte Dranjar. »Niemand überlebt das Labyrinth des Schreckens. Weder ein unbewaffneter Gnom wie Wito noch ein großspuriger Goblin.«
Er wies über den Platz. Am Ende der Gasse, die den Weg des Scharfrichters markierte, waren drei weitere Gestalten erschienen: zwei Gnome und Werzaz. Der Goblin hielt ein großes Bündel vor sich in den Armen, aus dem Klingen und Spitzen und Pfeilschäfte herausragten. Er selbst hatte seinen schimmernden Gardepanzer abgelegt und trug stattdessen eine Eisenrüstung, die mit scharfen Graten verziert war.
Für Darnamur war es ein vertrauter Anblick. So hatte auch die Rüstung ausgesehen, die Werzaz vor zwölf Jahren bei Keladis verloren hatte. Unwillkürlich musste er lächeln.
Werzaz stapfte entschlossen weiter und hatte den Scharfrichter eingeholt, ehe der beim Schafott angelangt war. Brummelnd und fluchend folgte er dem Zug. Die beiden Gnome Audan und Magati kamen zögernd hinterher.
Die Menge spendete ihnen Beifall, wünschte ihnen Glück. Werzaz fluchte und wich Händen aus, die ihn berühren wollten, um ihn aufzumuntern, um ihm ihren Segen zu geben. Der Goblin war kein Freund solcher Gesten. Der ganze Zug stieg die hölzerne Treppe empor und versammelte sich auf der zur Tribüne ausgebauten Richtstätte.
»He, Werzaz«, rief Darnamur, als der Goblin an ihm vorbeikam. »Wolltest du Handel treiben im Labyrinth? Waffen eintauschen gegen freies Geleit bei den Ungeheuern?« Feixend wies er auf das Waffenbündel.
»Halt’s Maul, Eiterbeule«, gab Werzaz zurück. »Was verstehst du davon? Viele Feinde, viele Waffen. Im Labyrinth muss ich kämpfen für drei, wenn die kleinen Schaben mir den Weg zu Wito weisen.« Er nickte in Richtung der beiden Gnome, die ihn begleiteten. »Gnome als Kundschafter, der Goblin als Krieger. So sollte es sein.«
»So war es nie«, erwiderte Darnamur. »Da war kein Goblin, als ich mit dem Unkwitt kämpfte.«
»Mag sein, Warzenhaar«, gab Werzaz zurück. »Aber die Gnome waren auch niemals die Herren, und du hast es nun genau so eingerichtet. Ich mach’s dir einfach nach und schaff mir meine eigene Ordnung. Lebe wohl in deiner Gnomenstadt, Rattengesicht.«
Er stieg die letzten Stufen hinauf und ließ Darnamur stehen.
»Großartige Kundschafter hat er sich da ausgesucht«, bemerkte Dranjar halblaut. »Zivilisten und Stadtgnome. Bei denen kann er den großen Goblin markieren, ohne Zweifel.«
Der Scharfrichter stellte sich auf dem Podest breitbeinig hin und legte behutsam die Krücke ab. Er wankte ein wenig, richtete den verformten Körper auf. Umringt von den bewaffneten Gnomen und von einem zweiten Kreis von Goblins unten um das Schafott, breitete er die Arme aus. Die langen Krallen zerrten eine Scheibe von Unlicht auseinander. Ein gemeinschaftlicher Atemzug ging durch die Zuschauer.
Darnamur spürte die Erwartung der Menge. Er dachte an den letzten Auftritt des Scharfrichters, den er miterlebt hatte. Witos Verbannung. Darnamur ballte die Fäuste. Heute herrschte eine andere Stimmung.
Wito war beliebt gewesen bei den Bewohnern von Daugazburg, nicht nur bei den Gnomen. Nun sollte eine kleine, tapfere
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