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Der Tag der Messer: Roman (German Edition)

Der Tag der Messer: Roman (German Edition)

Titel: Der Tag der Messer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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hatte viele Henker, doch nur einer war der Scharfrichter . Er brauchte keinen anderen Namen. Der Scharfrichter war doppelt so groß wie ein Goblin, aber spindeldürr. Seine überlangen Arme lagen seitlich an seinem Körper unter der formlosen Kutte, von Ärmeln oder Ärmelfalten umspielt; die Finger waren knochige Klauen.
    Die Nase des Scharfrichters wirkte wie plattgedrückt; der Mund darunter war zugenäht. Die blassen runden Augen glichen denen eines Fisches, fest gegen das dicke Glas eines Aquariums gepresst. Seine Haut war graugrün und kahl. Mancher hielt den Scharfrichter für einen Untoten, andere sahen einen Dämon in ihm oder eine von Leuchmadan geschaffene Kreatur. Er verrichtete seinen Dienst schon so lange, wie der älteste Nachtalb zurückdenken konnte, und er vollstreckte die Urteile der Herren von Daugazburg – gleichgültig, wer gerade auf dem Thron sitzen mochte.
    Er kam bei dem Schafott an. Der Wall aus Schilden teilte sich. Gemessenen Schrittes stieg der Scharfrichter die Stufen empor.
    Wito der Gnom blickte auf. Er war abgemagert. Sein Leib sah aus, als könne er den übergroßen Gnomenkopf kaum tragen. Schmerz und Entbehrung zeichneten sein Gesicht. Der Kopf war an vielen Stellen kahl, die dunkle Haut wund. Ein Arm war unnatürlich krumm, wie gebrochen und falsch eingerichtet. Wito trug Ketten an Händen und Füßen.
    Er schaute vom Scharfrichter zur Menge. Seine Augen waren trüb. Er versuchte den Rücken zu straffen, zuckte zusammen und erschlaffte wieder. Wito senkte den Kopf.
    Der Scharfrichter baute sich vor ihm auf, eine verkrümmte Gestalt wie eine unheimliche alte Weide. Seltsame Wölbungen beulten die Kutte aus, als wäre das Kleidungsstück ein Sack voll unförmiger Klumpen. Unter dem Saum schauten bloße Füße mit überlangen Zehen hervor, die in ebenso schwarzen Klauen ausliefen wie die Hände.
    Der Scharfrichter starrte auf den Gnom. Ein Schatten zog über seine Augen wie ein unsichtbares Lid. Die vernähten Lippen zuckten, die Klauenhände regten sich verhalten.
    »Und für seine Verbrechen soll Wito, der Gnom, verbannt werden in das Labyrinth des Schreckens«, beschloss der Nachtalben-Herold seine Rede. »Im Namen Geliunas, der Schwarzen Fei, der Herrin von Daugazburg und der Grauen Lande, Statthalterin von Leuchmadan bis zu Seiner Rückkehr.« Er wandte sich dem Scharfrichter zu. »Ihr möget das Urteil nun vollstrecken.«
    Mutwillig schlug der Kobold die Rassel, sodass ihr Klang die letzten Worte des Herolds fast verschluckte. Das Rot am Himmel über den Mauern gerann zu einem dumpferen Ton. Die Fledermäuse von Daugazburg verließen ihre Höhlen und kreisten lautlos über dem Platz. Wie lebende Rauchwolken flogen sie ineinander und zerstreuten sich wieder. Manche flatterten ins Umland hinaus, um sich zwischen den Feldern und Hainen ihre Beute zu suchen, andere tauchten zurück in das Gassengewirr und kamen den Aufträgen ihrer Herren nach.
    Der Scharfrichter breitete die langen Arme aus. Er öffnete seine Klauenhände, dann spreizte er die Finger. Die Krallen des Scharfrichters rissen ein Loch in die Wirklichkeit, und die Menge hielt den Atem an.
    Eine Schwärze tat sich auf, die keine Schwärze war – kein Schatten, sondern ein fremdes Licht, so unfassbar, dass es alles Sehen auslöschte. Selbst die nachtsichtigsten unter den Finstervölkern blickten blind in diese Dunkelheit, die sich allmählich zu einer Fläche auswuchs, zu einer Scheibe ohne Tiefe. Dies war das Tor zum Labyrinth des Schreckens, das allein der Scharfrichter öffnen konnte.
    An diesen Ort verbannten die Herren von Daugazburg ihre Feinde, und die meisten von ihnen fanden dort unter unvorstellbaren Qualen den Tod. Sie wurden in einer unwirklichen Umgebung von Ungeheuern gejagt und von Entbehrungen gequält, bis sie zugrunde gingen. Nur wenige kehrten zurück.
    Wem es gelang, der war an Leib und Seele gebrochen. Trotzige Rebellen und stolze Fürsten kamen als unterwürfige Diener wieder, bloße Schatten ihrer selbst. Sie überlebten nur so lange, wie sie den Herren von Daugazburg als Beweis ihrer Macht dienen konnten.
    Tausende Augenpaare, die im Schatten unter den Türmen glänzten, schlossen sich nun oder wandten sich ab. Die wabernde Scheibe aus Unlicht war mehr zu fühlen als zu sehen, ein steter Sog, der an jedem zerrte. Wer den Blick nicht gleich abwendete, dem schien es die Augäpfel aus den Höhlen zu ziehen.
    Zwei Goblins traten vor. Sie packten Wito den Gnom und warfen ihn zu dem Scharfrichter hin.

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