Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
ohnehin nicht mehr«, erwiderte Bleidan. »All die Fürsten, die bis heute der Folter widerstanden haben, mögen einst die Stärksten gewesen sein. Ihre Macht hat ihnen Hoffnung verliehen. Aber diese Hoffnung wurde ihnen zum Verhängnis. Sie haben zu lange durchgehalten, und ihr Geist ist genauso gebrochen wie bei der Albe in der ersten Kammer. Ich bin überzeugt, selbst wenn wir jetzt die Folter einstellten, wären sie zu keinem Zauber mehr fähig. Ihr magisches Herz hält sie am Leben, aber sie erinnern sich nicht einmal mehr daran und können es darum auch gar nicht verraten. Sie sind lebende Tote, zu einem endlosen leeren Dasein in Qual verdammt, weil sie nicht sterben können.«
»Dann töte wenigstens ihren gegenwärtigen Leib«, sagte Frafa. »Lass sie gehen! Ich verstehe dich nicht. Zum einen sagst du, sie wären eine Gefahr und du kannst sie nicht gehen lassen. Und dann versicherst du mir, dass sie gar keine Gefahr mehr darstellen.«
»Es geht nicht nur darum, was ich glaube«, sagte Bleidan. »Zu viele Mitglieder im Rat fürchten meine Gefangenen. Sie würden diese letzten Zauberfürsten lieber tausend Jahre foltern lassen, anstatt auch nur das mindeste Risiko einzugehen, dass sie sich wieder erheben.«
»Das ist Unsinn!«, fuhr Frafa auf. »Wie soll der Rat dich aufhalten? Du bist dort unten allein mit den Goblins. Bis Darnamur davon erführe, wäre es unumkehrbar geschehen.«
»Ja, aber nach einem solchen Vertrauensbruch hätte ich alle Völker im Rat gegen mich. Selbst meine bisherigen Verbündeten. Viele von ihnen wollen sich vielleicht nicht selbst die Finger damit schmutzig machen, aber sie würden mir nie verzeihen, wenn ich eigenmächtig eine Entscheidung treffe.«
»Du fürchtest sie!« Frafa schaute Bleidan empört an. Vielleicht war sie auch nur enttäuscht – oder fassungslos. Sie hatte Bleidans Stärke auf die Probe stellen wollen, wie einst Saira und Tartanis. Das war ein dummer Einfall gewesen, das wusste sie jetzt. Unüberlegt. Und doch war ihr, als hätte Bleidan die Probe nicht bestanden, wenn auch auf ganz andere Weise als geplant.
Etwas war … beschädigt worden. Bleidan kam ihr kleiner vor. Zugleich machte sie sich Vorwürfe, weil ihr Urteil so ungerecht war.
Bleidan schüttelte heftig den Kopf. »So einfach ist es nicht. Glaub mir, Frafa, wenn es nur darum ginge, würde ich dem ein Ende machen. Aber das könnte den Rat zerreißen. Es könnte all meine Allianzen sprengen.«
Er schaute sich um, dann beugte er sich näher an ihr Ohr und flüsterte so leise, dass selbst ein Gnom es kaum noch gehört hätte: »Du musst wissen, dieser Rat wird immer stärker, seitdem Darnamur ihn gegründet hat. Diese Gnome wollten ein Marionettentheater, aber spätestens seit dem Aufstand der Goblins ist er das nicht mehr. Immer mehr Vertreter handeln eigenständig. Wir schließen Bündnisse. Wir stellen Anträge. Selbst Darnamur wagt nicht, sich offen gegen uns zu stellen. Er würde die Unterstützung seiner Partei verlieren, wenn er zu selbstherrlich auftritt. Seine Truppen sind müde, und wir gewinnen Abstimmungen gegen ihn mit Stimmen von seiner eigenen Bank.
Ich kann jetzt nichts tun, was das gefährden würde. Noch ein Jahr, vielleicht nur ein paar Mondläufe, dann hat dieser Umsturz tatsächlich das gebracht, was wir alle uns erhofft haben. Die Herrschaft der Gnome wird enden, und der Hohe Rat aller Völker regiert gemeinschaftlich in Daugazburg.
Das neue Daugazburg, Frafa. Ich kann das nicht aufs Spiel setzen, nur um ein paar alte Fürsten zu retten.«
Die Sitzung dauerte schon eine ganze Weile. Der Mond stand hoch am Himmel. Sein milchiges Licht fand den Weg an Türmen und Wällen vorbei und schimmerte vor den großen Fenstern des Sitzungssaals.
Darnamur hatte gewusst, dass auch an diesem Abend wieder das Wahlrecht zur Sprache kommen würde. Die Fraktionen konnten sich nicht einigen, wie in Zukunft die Vertreter für den Rat bestimmt werden sollten. Seit Tagen endete deswegen jede Sitzung in einer ergebnislosen Debatte. Heute wollte Darnamur diesen unvermeidlichen Punkt der Tagesordnung als Stichwort nutzen.
»Bevor wir das Thema weiter erörtern, muss ich dem Rat einen anderen Fall zur Entscheidung vorlegen!« Er hob die Glocke und läutete.
»Solange die Besetzung des Rats in unserer Hand liegt, müssen wir über eine weitere Vereinbarung aus den Zeiten der Goblin-Revolte befinden«, fuhr Darnamur fort. Unter den Ratsherren erhob sich ein Flüstern, als auf den Glockenschlag hin
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