Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
blickten auf die weit unten liegende Passstraße hinab wie leere Augenhöhlen. Nichts regte sich auf den Zinnen, die im hellen Sonnenlicht verlassen unter einem lichtblauen Himmel lagen.
Da schoss eine Feuersäule aus der Steilwand, über die höchsten Turmspitzen hinaus. Sie riss Steine und Staub mit sich, verschlang die Festung und verblasste schließlich. Eine Rauchsäule blieb zurück, dick und grau und schwer. Sie wuchs langsam dem Himmel entgegen und zerfaserte. Im Umkreis hagelte es Felsbrocken.
Durch den Rauch hindurch konnte man allmählich wieder den Steilhang sehen. Ein Stück fehlte, als wäre es herausgebissen worden, vom Fuß des Berges bis hinauf zu der Goblinfestung, von der nur noch ein paar Türme und Mauerreste am Rand eines klaffenden Abgrunds standen.
Während die Beobachter von der anderen Seite des Talgrunds her zusahen, neigte sich das Mauerwerk, bröckelte ab und stürzte nach und nach in die Tiefe. Bald war die Festung ganz verschwunden.
Gulbert setzte das Fernglas ab. »Eine beeindruckende Erfindung, euer Sprengpulver«, stellte er fest.
Er stand mit den Fürsten von Bitan und den übrigen Befehlshabern am Rand einer Almwiese, die gegenüber der Festung an einem Berghang lag. Ein guter Teil des Heeres lagerte hinter ihnen.
Sukan ließ ebenfalls sein Glas sinken, blickte mürrisch drein und schwieg. Ein anderer Fürst, Delando von Fertuelas, meldete sich zu Wort. Er klang gereizt. »Ja. Ein großartiges Schauspiel zu Eurem Amüsement, Herr Zauberer. Aber denkt Ihr auch daran, dass wir nicht ausgezogen sind, um Termitenhügel in die Luft zu sprengen?«
Gulbert schaute den Fürsten von Fertuelas an und schüttelte milde den Kopf. »Herr Delando, seid doch nicht so hitzköpfig! Sollen wir etwa nach Daugazburg weitermarschieren, solange wir die Feinde noch in unserem Rücken haben?«
»Was für Feinde?«, warf Sukan ein. »Seit Wochen rennen wir hier durch die Berge. Die Festungen von dem Geschmeiß sind kaum besetzt. Die Feinde, auf die wir stoßen, sind nichts als Räuberbanden. Die Grauen Lande sind reif für die Ernte, und wir verschwenden hier unsere Zeit!«
»Unterschätzt die Finstervölker nicht.« Gulbert hob mahnend den Zeigefinger. »Bedenkt, was beim letzten Mal geschah. Vor tausend Jahren schlugen wir den Feind, und doch rannten wir uns an den mächtigen Wällen von Daugazburg die Köpfe ein. Vor dem letzten Vorstoß will ich erst allen Widerstand brechen. Wir müssen uns auf eine lange Belagerung einstellen; da will ich nicht zwischen den Mauern von Daugazburg und einem Entsatzheer in die Zange geraten.«
»Belagerung?« Delando lachte und wies mit der Hand über das Tal. »Das war vor tausend Jahren! Wie mächtig auch immer die Mauern von Daugazburg sind – heute haben wir die Mittel, um sie zu Staub zu zerblasen. Wenn sie ihre Tore mit Magie geschützt haben, dann sprengen wir den Boden unter ihren Füßen weg. Die Zeiten, da hohe Wälle Schutz boten, sind vorüber. Jetzt, da die Menschen von Bitan selbst Berge aus dem Weg räumen können.«
»Hm, ja …« Gulbert strich sich nachdenklich den Bart. »Euer Sprengpulver. Wir werden neue Vorräte davon anfordern müssen. Ich habe die letzten Fässer für diese Festung verwendet. Wir werden mehr davon brauchen, bevor wir uns gegen Daugazburg wenden können.«
20. K APITEL:
B ÜNDNISSE
Was Saira und Tartanis angeht … das sind nur Gestalten aus alten Geschichten. Es war niemals die Wahrheit. Ich glaube nicht, dass die Alben jemals wirklich so waren.
Die Alben der alten Tage haben diese Geschichten nicht erzählt, weil sie wirklich so gedacht haben. Sie haben sich diese Geschichten erzählt, weil sie so hart sein wollten, damit sie den Schmerz ihres Daseins nicht mehr spüren. Sie wollten umarmen, was ihnen aufgezwungen worden war, damit sie die gnadenlosen Kämpfe in den Grauen Landen und die Taten, zu denen sie getrieben wurden, nicht als Zwang und Gefangenschaft empfinden mussten.
B LEIDAN , DER N ACHTALB ,
N ACH DEN E RINNERUNGEN DER N ACHTALBE F RAFA
I M L ENZMOND 41 N LR – V ORFRÜHLING IN D AUGAZBURG
»Ihr wollt Bleidan hinrichten lassen!« Aufgebracht stürmte Frafa in Darnamurs Arbeitszimmer und stützte die Hände auf seinen Schreibtisch. »Das war so nicht vereinbart.«
Darnamur verzog das Gesicht. Hinter Frafa schaute ein Mensch in das Zimmer, der vor der Tür Wache stand. Darnamur winkte ihn fort, und der Posten schloss die Tür.
»Genau genommen«, sagte Darnamur zu der Albe, »haben wir
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