Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
aufgerissen, und Werzaz hielt noch im Tod die spitzen Zähne gefletscht, als grinste er seinen Feind an.
Die drei Gnome versammelten sich um ihn.
»Ich weiß nicht«, sagte Magati nach einer Weile. »Es klingt verrückt. Aber ich habe fast das Gefühl, er sieht glücklich aus!«
»Gut möglich«, erwiderte Wito leise. »Er fiel in einem aufrechten Kampf, und sogar unbesiegt. Wie er es immer wollte.«
Und Wito erzählte seinen Begleitern von der großen Mission, die er gemeinsam mit Werzaz durchgefochten hatte. Davon, wie der Goblin am Ende geschwächt und verstümmelt hatte aufgeben müssen. Als alles vorüber gewesen war, hatte Werzaz das bedauert. Er hatte sich um einen ehrenhaften Tod betrogen gefühlt und wollte nicht als Krüppel weiterleben – aber die Fei hatte für seine Heilung gesorgt, und damit schien alles wieder gut zu sein.
»Aber ein Goblin wie Werzaz«, sagte Wito, »was sollte der noch anfangen? Der Krieg war vorüber, und er war in einer Umgebung gefangen, in der ein aufrechter Kampf nicht mehr zählte. Er muss ständig das Gefühl gehabt haben, dass seine größten Taten bereits hinter ihm liegen. Ich glaube, am Ende fühlte er sich immer noch um seinen ehrenhaften Tod betrogen, und er hat ihn hier gesucht. Lebe wohl, Krieger!«
Erst spät am Vormittag kam Frafa wieder zu ihrem Turm. Ihr Turm. Sie war allein.
Nachtalben lebten nicht in Gesellschaft. Sie lebten in einem Haushalt mit Herren und Untergebenen. Eine zufällige, nur auf Zweckmäßigkeit ausgerichtete Gemeinschaft. Aber als Frafa durch den leeren Turm schritt, empfand sie Einsamkeit.
Sie stieg vom Eingang bis zur höchsten Spitze und ging wieder zurück. Jetzt waren alle fort. Bleidan war der Letzte gewesen, der mit ihr in Aldungans Turm geblieben war. Alle anderen Alben, die Schüler und Familiare, waren schon vorher verschwunden. Genau wie die Goblins und die Menschen, die Nachtmahre und Kobolde und Gnome der Dienerschaft. Bleidan war der Letzte gewesen, und nun war er fort. Wie konnte eine einzige Person einen solchen Unterschied machen?
Frafa fror, und sie schlang die Arme um den Leib. Eine Weile stand sie in ihrem alten Zimmer. Es war leer. Sie ging in den Arbeitsraum, wo Bleidans Tiere in den Käfigen lebten. Sie kratzten und scharrten in den Vivarien, rieben sich klirrend an den Gitterstäben, sie surrten und knackten und keckerten. Aber Frafa fühlte sich auch hier allein.
Sie ging in ihr neues Zimmer, schob Holz in den Ofen und setzte sich aufs Bett.
Es war jetzt ihr Turm.
Bleidan war fort. Aber sie konnte neue Diener einstellen. Sie konnte diesen Haushalt besser führen, als Bleidan es getan hatte. Sich mehr darum kümmern. Immerhin hatte sie eine Stellung im Palast, und Darnamur wollte ihr einen Platz im Rat verschaffen. Wenn sie es wollte, konnte sie diesen Turm wieder mit Leben füllen.
Nachtalben brauchten keine Gesellschaft, sie brauchten Herren und Diener. Nun war sie die Herrin, und Diener ließen sich finden. Frafa sah sich selbst in ihrem Turm, umgeben von neuen Dienern und Sklaven … und mit einem Gefühl im Herzen wie eben in Bleidans Arbeitszimmer mit all den Tieren um sich.
War die Leere im Turm oder war sie in ihrem eigenen Inneren?
Die Wege der Nachtalben kreuzten sich und trennten sich wieder, aber jeder folgte seinem eigenen. So war das bei Nachtalben.
Frafa versuchte zu schlafen, aber sie träumte. Sie hörte Stimmen, hetzte durch leere Räume. Sie sah Bleidan und hatte etwas vergessen oder befand sich sonst in einer peinlichen Lage.
Immer wieder schrak sie hoch. Hatte sich ein Nachtmahr im Turm eingenistet, in einem nicht abgeschirmten Zimmer? Frafa wälzte sich auf die andere Seite. Schließlich stand sie auf und setzte sich an den Tisch. Sie hatte ihre Ausbildung ohnehin zu lange vernachlässigt. Der Schlaf floh sie oder tat ihr weh, aber natürlich gab es andere Möglichkeiten. Jetzt war die Zeit gekommen, um die Kunst der Meditation einzuüben.
Alle Nachtalben pflegten sie, irgendwann.
Die Goblinfestung erhob sich auf einem Steilhang über einem namenlosen Pass tief in Leuchmadans Zinnen. Zwischen schiefen Türmen verliefen kurze Mauerstücke, und der ganze Bau sah so aus, als hätte man ihn zusammengepresst, damit er in der engen Nische Platz fand. Zu erreichen war die Festung nur über einen schmalen Saumpfad, der in scharfen Kehren in den Fels geschlagen war.
Eis und Schnee glitzerten auf den Gipfeln ringsum und in allen Ritzen des dunkelgrauen Gemäuers. Schwarze Schießscharten
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