Der Tag der Rache. Private Berlin
dreißig Jahre nicht gesehen, aber er war ständig in mir. Er hat mein Innerstes zermürbt. Er…« Tränen liefen ihr über das Gesicht. »I ch wusste die Hälfte der Zeit nicht, wer ich war. Ich erfand Dinge, Leben. Ich…«
Sie begann sich die Hände zu reiben, als würde sie sie waschen, und wiegte ihren Oberkörper langsam vor und zurück. Mattie wollte sie zu sich herüberziehen und sie beruhigen, doch ihr Telefon klingelte.
»E ngel«, meldete sie sich.
»I ch habe die ganze Nacht damit zugebracht, Mattie«, sagte Ernst Gabriel. »I ch habe jede Datenbank angezapft, die mir einfiel. Es gibt keinen Kiefer Braun in Deutschland, der auch nur annähernd unserem Typen entspricht.«
Mattie bekam schlechte Laune. »W as? Ist er tot? Hat er das Land verlassen?«
»N ein, er ist hier in Berlin«, antwortete Gabriel. »U nd hat seinen Namen geändert. Dreimal.«
99
Das Gesicht zum Spiegel gewandt, schminke ich mich fertig. Schade, dies könnte die letzte Maske in meiner hervorragenden Sammlung originaler Einmal-Schöpfungen sein.
Als ich mit meiner Verkleidung fertig bin, kehre ich zu meinen Masken zurück, fahre mit den Fingern über die alten Lieblingsstücke– denen der Dogon und der Indonesier– und die neuen Freunde wie der Chokwe- und der Jaguar-Maske.
Dann suche ich die anderen Dinge zusammen, die ich benötige: Seil und Fallschirmschnur, Zigaretten und etwas, um sie anzuzünden, einen Schraubenzieher, Lederhandschuhe, zwei Pistolen mit Schalldämpfer und sechs Magazine mit Munition. Und vier Ausweise samt den dazugehörigen Unterlagen für vier unterschiedliche Identitäten. In einer stabilen Truhe mit Rädern befinden sich genügend Geld und Goldmünzen. Damit komme ich eine sehr lange Zeit aus, ein Schatz, den ich bereits vor Jahren beiseitegelegt habe für den Fall, dass ich mein geliebtes Berlin für immer verlassen muss.
Und genau dieser Moment, meine Freunde, ist gekommen: Ich werde meine Haut ablegen und meine wunderschöne Narbenstadt verlassen.
Mit einem bittersüßen Lächeln kehre ich ein letztes Mal an meinen privaten Ort zurück. Ich sehe mir das an, was ich mir aufgebaut habe, denke an all die Ereignisse und Erfahrungen, die mich verändert haben, mich zu einem anderen, wortgewandteren, berechnenderen und schlaueren Menschen gemacht haben als den blutrünstigen Hohlkopf, der ich früher war.
Ich sehe auf meine Armbanduhr. Es ist fast zwei. Ich schalte das Licht aus und schließe die Tür. Noch eine Sache, die ich erledigen muss, dann mache ich mich auf den Weg zur Schule.
Nach den Schwierigkeiten, die mir widerfahren sind, kann ich das Risiko nicht eingehen, den kleinen Niklas zu verpassen. Stimmt doch, hm?
1 00
Als Mattie und Katharina Doruk um Viertel vor drei Sandra Weigel am Hauptsitz des BKA in einen abgedunkelten Beobachtungsraum folgten, saß Hermann Krüger auf der anderen Seite des einseitig durchsichtigen Spiegels an einem Verhörtisch.
Krüger war für seine Anfang fünfzig äußerst fit. Er trug einen Fünftausend-Euro-Anzug, seine Haut war so glatt, dass Mattie hätte wetten können, dass er geschminkt war. Er saß kerzengerade auf seinem Stuhl, den Kopf hielt er herrisch und wütend nach oben gereckt, offenbar angewidert, dass er in diese missliche Lage gebracht worden war, und scharf darauf, demjenigen den Kopf abzureißen, der den Schneid hatte, ihn zum Verhör zu zitieren.
Krügers Anwalt, ein schmächtiger Mann namens Richter mit intensivem Blick, musste mitbekommen haben, in welcher Verfassung sein Mandant war, weil er ihn anstieß und ihm in dem Moment etwas ins Ohr flüsterte, als die Tür zum Verhörzimmer geöffnet wurde.
Hauptkommissar Dietrich schlurfte in einem verknitterten Anzug herein, unter einem Arm eine dicke Akte, in der anderen Hand einen Kaffee. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine Haare zerzaust, und seine Haut war blass wie Kerzenwachs.
»S ehen Sie?«, murmelte Mattie. »I ch wette, sein Schädel brummt noch.«
Weigel runzelte die Stirn, seufzte schließlich und nickte. »I ch spreche ihn aus Mangel an Beweisen frei. Sie haben unrecht.«
»I ch habe nicht unrecht«, widersprach Mattie. »S ie haben gehört…«
»E gal«, schnitt ihr Sandra Weigel das Wort ab, bevor sie sich Dietrich zuwandte, der mit zitternder Hand die Tasse abstellte.
Er verschüttete etwas von dem Kaffee, wischte ihn aber absichtlich langsam mit einer Serviette fort, um Hermann Krügers Geduld auf die Probe zu stellen. Richter flüsterte seinem Mandanten wieder
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