Der Tag der roten Nase
Frühnachmittag, wenn er mir auch nicht so bedeutsam vorkam wie jener erste bei Irja. Es wurde gefragt, geantwortet, Kaffee getrunken, aus dem Fenster geguckt, sich unterhalten, über dieses und jenes, Wie oft in der Woche gehen Sie einkaufen, Eigentlich jeden Tag, Auch sonntags, Sonntags auch wenn möglich, Ah ja, Immer geht es ja nicht, Dann schreiben wir einfach sechs Mal die Woche, Schreiben wir lieber sechseinhalb Mal, Stimmt man sollte schon genau sein, So ist es. Und was halten Sie allgemein von den Sonntagsöffnungszeiten, Na ja, Sind Sie dafür oder dagegen, Dafür auch wenn das natürlich nicht so einfach ist, Stimmt, Aber manchmal hat man vielleicht einfach nichts Besseres zu tun, Eben, Da kann man ein bisschen Zeit für sich verbringen, Ganz genau, Sich was kaufen falls ein größerer Supermarkt offen ist, Verstehe, Ja, Wo ich wohne sind sie ein bisschen dünn gesät, Wo wohnen Sie denn, Äh in Hakaniemi, Schöne Gegend, Schon ja aber ein bisschen trubelig vielleicht, Da gibt’s ja auch Kaufhäuser, Na ja, In der Hauptstadt wird es doch Kaufhäuser geben, Natürlich natürlich aber, Was aber, Jetzt geht es um Ihr Leben kann ich die nächste Frage stellen, Fragen Sie nur, Mögen Sie Hühnerleber, Äh natürlich mag ich die, Oh das war jetzt das falsche Formular aber ich mag sie auch.
Und bevor ich mich wieder auf die Rückfahrt mit dem Bus machte, schlüpfte ich noch in eine Haustür hinein, die sich gerade anbot, aber darüber lasse ich mich nicht weiter aus, aus diplomatischen Gründen; dass es ein Fehler war, merkte ich schon, als ich den Flur einer Wohnung im ersten Stock betrat. Mir ist von dem Besuch nicht viel mehr in Erinnerunggeblieben als ein unterbrochener Streit und eine abwehrende Haltung, aber seltsamerweise hing auch dort eine Uhr, ein über der Küchentür montierter neualtmodischer Kasten, dessen schwarze Plastikminuten mit bedrückendem Zucken umblätterten.
Viel Zeit verstrich trotzdem nicht, bis ich mich erneut auf dem Weg nach Kerava befand. Ich musste hin, um die angefangene Befragung zu Ende zu bringen, das war ich Irja schuldig.
Draußen schien die Sonne, aber die Luft war beißend, die Bucht sah blaugrau, reibeisenartig gelöchert und zerdellt aus. Auf dem Zebrastreifen zog ich mit einem Ruck den Schal enger und wäre fast unter einen Lastwagen geraten. Der Fahrer ließ die Hupe blöken und schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei. An der Straßenbahnhaltestelle ballten sich fünf blau gekleidete Kontrolleure eng zu einem Plauderkreis zusammen. Sie wirkten entspannt. Ich fand sie nicht besonders furchterregend, im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten, die waggonweise aufsprangen, wenn sie kamen. Dabei war es noch gar nicht so lange her, dass ich selbst erwischt worden war. Freundlich war sie gewesen, die Frau, ein bisschen jünger als ich, wir hatten sogar Gelegenheit, ein paar Worte übers Wetter zu wechseln und über die von Jahr zu Jahr schlimmer werdende Zerstreutheit zu lamentieren, angeblich vergaß sie selbst manchmal, eine Fahrkarte zu kaufen. »Ob Sommer oder Winter – der Kopf bleibt ein und derselbe«, sagte sie. Wir mussten lachen. Noch Stunden später hatte ich gute Laune wegen des angenehmen Umgangs und wegen des Plauderns, auch wenn sie mich natürlich teuer zu stehen gekommen war, diese zwischenmenschliche Begegnung.
An der Ampel überquerte ich im ungleichmäßig strudelnden Menschenschaum die Straße, ein mürrischer Penner bildete die Gegenströmung, aber ich konnte ihm ausweichen und gelangte ohne Kollision an die Haltestelle. Eine Viertelstunde musste ich auf den Bus warten, währenddessen driftete ich wieder in einen vollkommen gedankenlosen Zustand ab, genau genommen vergaß ich ganz und gar, wo ich mich befand. Ich kehrte erst in die Welt zurück, als ich vor dem Fahrer stand und nach den Münzen buddelte, aber den Geldbeutel nicht finden konnte, ich erschrak, denn es war zwar nicht viel Geld drin, aber irgendwie war er mir lieb, aus reiner Nostalgie, der uralte hässliche Geldbeutel von der Sparkasse, lieber als ein Portemonnaie, vielleicht war ich eben so etwas wie ein Geldbeutelmensch, und wozu bräuchte ich auch schon ein Multifunktionsportemonnaie, für meine paar Kröten und die beiden Plastikkarten.
Dann fand ich den Geldbeutel doch noch und setzte mich auf die nächstbeste Bank, um das Gefühl der Erleichterung zu genießen. Auf der Fahrt nickte ich ein. Mein Sohn rief einmal an, ich zischte: »Ich sitze im Bus, wir telefonieren
Weitere Kostenlose Bücher