Der Tag der roten Nase
Menschen, Das ist ja gerade das Schöne, Da stimme ich dir voll und ganz zu, Ahabeantwortest du jetzt schon meine Fragen, Sieh an, Ja aber ich stimme trotzdem voll und ganz zu.
Diesmal lachten wir nicht, aber wir setzten ein würdevolles, leicht nach unten strebendes Lächeln auf, in dem ein Hauch von Melancholie lag.
Irja schenkte Kaffee nach, obwohl ich sagte: »Bald fang ich an zu zittern.« Wir installierten uns wieder in Trinkposition, ich lobte noch einmal den Kaffee, er war wirklich gut, dunkel, und er schmeckte fast ein bisschen verboten, Irja sagte, es sei zur Hälfte normaler Festmokka und zur Hälfte dunkle Röstung, Marke Parisienne. Gleich darauf erschrak ich dann aber, als sie mir aus ihren grauen und beinah eisernen Augen plötzlich einen tiefen und direkten Blick zuwarf und mit sozusagen schweißtreibendem Nachdruck sagte: »Irma. Irma heißt du doch?«
Das ängstliche Vibrieren meines Antwortlauts war schon zu hören, bevor er aus dem Mund gekrochen kam. »Ja«, brachte ich kleinlaut und rundlippig heraus wie ein Kind, das beschlossen hat, einen Streich zu gestehen, den es für ein nicht wiedergutzumachendes Verbrechen hält. Sofort rechnete ich mit Schwierigkeiten, es kam die Urangst auf, erwischt zu werden, wobei, war unmöglich zu sagen, trotzdem gab es da die Angst, alles könnte zu Ende gehen, der Tag, der Kaffee, der Kuchen, das ganze gemütliche Sitzen und Beisammensein. Und so wartete ich dann stocksteif darauf, dass Irja das Schreckliche sagte, oder noch schlimmer, fragte.
»Du siehst entsetzlich aus«, sagte sie schließlich.
Es dauerte eine Weile, bis ich fähig war, erleichtert zu sein. Und als das Lachen endlich kam, öffneten sich ungefähr alle Kanäle gleichzeitig. Und auch wenn Irja genauso lachenmusste, wie ich mit meinem getrübten Blick sehen konnte, war sie dennoch imstande, mich ins Bad zu führen und mich mit meinem ramponierten Gesicht zu konfrontieren, über das Tränen und frisches Blut liefen und in dem es keinen einzigen hübschen Quadratmillimeter gab, das mich aber trotzdem noch fürchterlich zum Lachen brachte, als ich schon längst allein vor dem Spiegel stand.
Ziemlich lange stand ich dort. Die Nase sah so furchtbar aus, dass man es eigentlich nicht aushielt, sie zu betrachten oder auch nur an sie zu denken; ich wusch mich, tat mit Puder, was ich konnte, trug zu viel Lippenstift auf und kehrte in die Küche zurück. Irja saß am Tisch und hantierte mit ihrem Handy. Als sie aufblickte und mich sah, verzog sie zwar noch immer die Lippen im Zusammenhang mit dem SMS-Austausch, aber ihre Augen lächelten.
»Jetzt siehst du schon fast wieder wie ein Mensch aus«, sagte sie. »Soweit man hinter der Nase einen erkennen kann.«
Ich setzte mich an den Tisch und sagte so theatralisch düster, wie ich konnte, »ha, ha«. Sie bat um Entschuldigung und meinte, sie wäre wohl taktlos, aber ich brachte sie mit »äh« und »pah« zum Schweigen und ging dazu über, meine großzügige Belustigung zu präzisieren. War wohl etwas gezwungen. Als die Choreografie absolviert war, beugte ich mich einer weiteren Tasse Kaffee, plauderte mit Freuden ein bisschen über dies und das, fing wegen der vielen Kaffeetrinkerei aber bald an zu zittern und sozusagen im Sitzen zu torkeln.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Irja. Als ich ihr erzählte, das sei ich in letzter Zeit öfter gefragt worden, lächelte sie ein wenig wehmütig und fragte, ob wir wohl ein bisschenalt geworden seien. Ihr Tonfall klang sorglos und heiter, so einen hätte ich auch gern gehabt, und natürlich war es gut, bei ihr zu sein, gerade bei ihr, aber mich bekümmerte doch auch die Nase, sie war zum Kawentsmann geworden, es fühlte sich an, als klammerte sich ein verwachsenes Tier in meinem Gesicht fest. Es war nichts daran zu ändern, dass ich irgendwann wieder in die Öffentlichkeit musste, und was würden dann die Leute denken, über so eine Nasenäffin, ist das eine Säuferin oder ist sie geschlagen worden oder beides oder was.
Ich musste allmählich aufbrechen, dämmerte mir, ich konnte ja beim besten Willen nicht über Nacht bleiben. Langsam ging ich dazu über, den Stier bei den Hörnern zu packen und was von dem Geschenk zu fabulieren, von der Belohnung, dass ich sie beim letzten Mal vergessen hatte: »Oh je, wie es wohl aussieht, bestimmt ist es in Stücke gegangen, Entschuldigung, Entschuldigung, was für ein Durcheinander, ich mach das noch nicht lange. Diesen Job.« Während ich so vor mich hin
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