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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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daheim hatte ich in dem Zustand nichts verloren, dort würde ich nur über den schweren Anschuldigungen brüten, ich musste zu Irja, das Portemonnaie holen, es musste sein, auch wenn mir davor graute, überhaupt unter Leute zu gehen, ich kam mir ganz und gar einsturzreif vor nach all dem Druck.
    Im selbem Augenblick erfüllte sich die melancholische Prophezeiung des alten Hätilä und der erste kalte Tropfen landete auf meiner Nase. Es fühlte sich an, als würde mir etwas Eisiges, Scharfkantiges direkt ins Gehirn geschoben. Irgendwo in der Ferne düdelte das Eiscremeauto.
    Weitere Tropfen folgten. Ich beschleunigte meine Schritte, so gut es mit meinem hämmernden Herzen und keuchendenAtem ging. Ich passierte Gebäude, Wohnblocks, Einfamilienhäuser, Schuppen und ein einsames, flaches Geschäftsgebäude, vor dem ein geistig behindert aussehender Mann im Overall mit stumpfsinnigen Bewegungen den blanken Asphalt mit einem Rechen bearbeitete. Das Eiscremeauto setzte sein Gejodel und ich meinen Weg fort, alles, was ich gerade erlebt hatte, drängte sich in meine Gedanken, das seltsam niedliche Väterchen und dann diese grauenhafte Frau, was war das nur, was die an sich hatte, diese Aggressivität, als wäre ich tatsächlich hinter dem Geld ihres Vaters her gewesen; und ich fragte mich, was für eine Schatztruhe die schaurige Frau eigentlich bewachte oder erwartete, hielt sie den armen Mann als Gefangenen oder wartete sie nur darauf, dass der Alte tot umfiel? Wie mochte er wohl zurechtkommen, der Greis, in den Klauen eines so böswilligen Menschen, denn bei ihm saß das Herz immerhin am rechten Fleck, man durfte ihn nicht schlecht behandeln, den braven alten Mann.
    Durch all diese Gedanken geriet ich noch mehr in Aufregung und marschierte an der Bushaltestelle und am Fußweg vorbei. An einem grellgelben Briefkasten blieb ich stehen, suchte daran Halt und atmete kurz durch. Etwas zwang mich zur Farbbestimmung, ich dachte, die Farbe des Briefkastens lag irgendwo zwischen Apfelsine und ranziger Butter, aber dann fiel mein Blick erneut auf das Geschäftsgebäude, als ein junger Mann vorbeikam, dessen Gesicht in jeder beliebigen Richtung hätte sein können, denn vorne wie hinten wuchs eine Unmenge langes, krauses Haar. Während er zur Bushaltestelle stapfte, schaute er zu mir herüber, als hätte er am liebsten etwas Istmitihnenallesokaymäßiges gefragt, aber es gelang mir offenbar, ihn so warnend anzufunkeln, dass er die Ohrenanlegte und sich ins Bushäuschen verzog. Genugtuung bereitete es mir nicht, das gelungene Anfunkeln, weil das Starren des Passanten natürlich nur bestätigte, dass ich anscheinend aussah, als sei ich ziemlich neben der Spur.
    Ich blieb noch eine Weile stehen, stierte auf die platt gefahrene, wie ein Möwenkadaver aussehende Plastiktüte auf der Fahrbahn, von der sich jedes Mal ein flügelartiger Fetzen hob, wenn ein Auto vorüberfuhr, aber kaum war ich weitergegangen, stand ich auf einmal so unvermittelt vor der Tür der Jokipaltios, dass es mir vorkam, als hätte ich einen Zeitsprung gemacht. Irgendwie schreckte ich davor zurück zu klingeln, weil mir die böse Ahnung geblieben war, dass dies unweigerlich zu unheimlichen Begegnungen führen musste, aber ich klingelte trotzdem und bemühte mich, mir eine Art Ausdruckslosigkeit ins Gesicht zu zwingen.
    Schnell ging sie auf, die Tür, und Irja stand vor mir. Sie trug die überraschend kurzen Haare glänzend und frisch gefärbt, aber ansonsten war sie alles in allem heimelig alltäglich, in grauen Jogginghosen und dunkelblauem, im Lauf der Zeit zeltartig ausgeleiertem T-Shirt. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie reichlich sommersprossenartige Muttermale auf den schmalen Armen hatte.
    »Du hast dich zurechtgemacht«, sagte ich irgendwie vollkommen farblos, wie man es tut, wenn man überhaupt nicht weiß, in welchem Ton man sich äußern soll. Einerseits kam es mir so vor, als wäre ich nun quasi in Sicherheit, an einem Ort, an dem ich willkommen war, aber gleichzeitig befürchtete ich doch, zu stören, ins Zuhause anderer Leute einzudringen und allerlei Kopfzerbrechen zu verursachen, mit all den unübersehbaren Folgen von Baffsein und Erschütterung.
    »Muss ja«, sagte Irja jedoch. »Wo so hoher Besuch kommt.«
    Während ich mich auf ihre auffordernde Geste hin in den Flur vortastete, wagte ich es zu fragen, ob sie gar beim Friseur gewesen sei. Irja erwiderte: »Scheibenkleister, sieht das so aus, ist nichts als Giftzeug aus dem Supermarkt, aber du

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