Der Tag der roten Nase
angemessen sichere Form und verlor mich auf diesem Weg; als ich in die Welt zurückkam, merkte ich, dass sich im rechten Augenwinkel etwas Quecksilbriges einen Weg bahnte. Ich schaute hin und sah im Fenster ein Eichhörnchen einen Baumstamm hinaufflitzen.
»Ach ja, das Portemonnaichen«, sagte Irja plötzlich.
»Das Portemonnaichen?«
»Ja, was?«, fragte Irja und blickte vom dunklen, kalten Backofenfenster auf, das sie eine Zeitlang angestarrt hatte, und zur Abwechslung sah nun sie aus, als hätte sie gerade ganz anderen Gefilden einen Besuch abgestattet. Durch all das wurde mir klar, dass die Beurlaubung für diesen Haushalt hier alles andere als einfach war, allen Beteuerungen zum Trotz. Und auch wenn ich einerseits gern mit meiner Aufdringlichkeit Schluss gemacht und die beiden in Ruhe gelassen hätte, so holte ich sie mir doch ins Reich des Existierenden zurück,die Irja, stellte fest, sie habe von einem Portemonnaichen gesprochen, und sie erwiderte etwas wehmütig, bei ihr seien im Moment wohl nicht alle Oberstübchen beheizt, und dann setzten wir für eine Weile ein schwach beleuchtetes Lächeln auf. Jedenfalls war jetzt das Portemonnaie da, ich weiß nicht, wo sie es hervorgekramt hatte, aber es lag plötzlich auf dem Tisch, ein schwarzer Fladen, der aussah wie ein inneres Organ, dem man übel mitgespielt hatte, auf einer Wachstischdecke im schlichten Marimekko-Design, dessen Blumen wie heruntergefallene rohe Eier wirkten. Einige Sekunden nachdem Irja das Portemonnaie hingelegt hatte, sackte das Ding ein wenig in sich zusammen, als suchte es eine bequemere Haltung.
Wir starrten beide auf das Portmännchen. Der Regen, den der alte Hätilä heraufbeschworen hatte, prasselte in aufgeregten Salven gegen das Fenster. Ich nahm den Geldbehälter in die Hand und stocherte darin herum, er war recht leer, abgesehen von Führerschein, verblichenen Quittungen und sonstigem unnützem Zeug. »Damit hätte es nicht geeilt«, feixte ich, ohne Grinsen allerdings.
Irja glaubte offenbar, ich würde lamentieren, und beeilte sich, zu widersprechen, vielleicht meinte sie, ich wäre über das ins Auge stechende finanzielle Defizit im Portemonnaie verbittert. Da musste ich meinerseits hastig sagen: »Mach dir bloß keine Gedanken, ich benutz das sowieso nie, das Portemonnaie, ich bin ein Geldbeutelmensch, guck hier.« Ich zog ein krumpeliges Täschchen aus der Handtasche und schüttelte es wie ein Schiffsmusikant, und Irja lachte und sagte: »Ach, du auch«, und dann brachte sie ihren Geldbeutel zum Vorschein, es war ein Modell von der Volksbank, aber garantiert ebenso uralt wie meines. Und so rappelten wir mit den dämlichenGeldbeuteln wie zum Zeichen des Triumphs und lachten ein wenig melancholisch, aber immerhin einträchtig.
Eine Weile saßen wir still da. Wir sahen einer Krähe zu, die im Ahorn herumturnte, rührten in den Tassen und räusperten uns ab und zu. Reino kam einmal herein, um sich Kaffee zu holen, fing aber nicht groß an zu reden, wieder stellte sich das Hohlheitsgefühl im Bauch ein, ich musste mir als Gegenmaßnahme etwas von dem Hefezopf in den Mund stopfen. Dadurch dass ich mitten in das angespannte Zusammensein der beiden hineingeraten war, hatte ich im Nacken und am Rücken ein klebriges Gefühl, als hätte mich jemand mit einer kalten, sämigen Soße überschüttet.
Dann, eigentlich genau in dem Moment, als sich die Stille so weit in die Länge gezogen hatte, dass es allmählich Zeit wurde, etwas zu sagen oder eben zu gehen, klingelte das Handy. Mein Sohn rief an, ich war ihm dankbar dafür, meldete mich aber nicht, ich dachte, da habe ich jetzt einen guten Grund zu gehen, ich ließ es schnurren, tastete nach dem Portemonnaie, um es in der Handtasche zu verstauen, und versuchte gleichzeitig Irja zu erklären, mein Sohn rufe an, er komme mich abholen, habe inzwischen anderswo etwas erledigt, wir hätten ausgemacht, er solle es ein paarmal klingeln lassen, sobald er vor dem Haus stehe. Die Worte erstarrten mir in der Kehle, die plötzlich eng und dornig zu sein schien, anfangs kamen nur trockene, pelletartige Ächzer heraus, aber schließlich gelang es mir doch, die Mitteilung zustande zu bringen und mich zum Aufbruch anzuschicken.
Irja stand mitten in der Küche, drehte ein rot-weiß kariertes Handtuch in einer Tasse herum und starrte seltsam förmlich auf die ausgeschaltete Kaffeemaschine. Ich unternahmerste verhaltene Schritte in Richtung Flur. Irja kam zu sich und begleitete mich zur Tür. Im
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