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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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der Gedanke im Kopf herumgeisterte, ob da drüben gerade die Familienhölle ausbrach. Bei den Jalkanens, den netten Jalkanens. »Ich hatte es ganz vergessen«, sagte ich dann zu Irja, die den Geschehnissen jenseits der Wand keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. »Entschuldigung, ich meine, dass er krank war oder so.«
    »Das macht einen schon krank, wenn man es gewohnt ist zu arbeiten.«
    »Leicht ist das nicht«, sagte ich steif. »Den ganzen Tag zu Hause rumzuhocken.« Am letzten Satz klammerte sich ein Unterton fest, den mein Sohn wahrscheinlich als diplomatistisch charakterisiert hätte, und aus irgendeinem Grund war ich sofort entsetzt über alles, was ich gesagt hatte, und fragte mich, ob ich im Quasseldruck ins Fettnäpfchen getreten war oder sie beleidigt hatte, wo sie doch immer den ganzen Tag zu Hause war, die Irja. Da half es auch nichts, dass man mich selbst geradezu als Professorin, Rätin, Direktorin oder Expertin im Daheim-Herumhocken hätte bezeichnen können, denn Irja wusste ja nichts davon, und selbst wenn ich noch so gern mit ihr auf Augenhöhe über all die langen, staubigen, stillen Tage allein zu Hause gesprochen hätte, so war ich für sie im Moment doch quasi auf der Arbeit. Ich musste mich also damit begnügen, das Gesagte zu glätten: »Nicht dass daran etwas falsch wäre. Am Daheim-Herumhocken. Aber natürlich nur, wenn man es gewohnt ist.«
    »Eben«, seufzte Irja. Etwas bedrückte sie, man sah es am Blick, der die ganze Zeit auswich.
    »Etwas anderes ist es natürlich, wenn man es nicht gewohnt ist. Oder was sage ich da eigentlich, Entschuldigung, irgendwie haben sich bei mir gerade die Gedanken verknotet. Also. Ich denke mir bloß, dass man praktisch, also dass man nicht immer bloß arbeiten kann. Auch. Manchmal ist es angenehm zu Hause. Auch.«
    »Stimmt.«
    »Ist noch Kaffee da?«, kam es aus dem Wohnzimmer.
    »Ja!«, rief Irja so unvermutet energisch, dass ich erschrak.Unter meinem Herzen schwappte es kurz kalt auf, als hätte sich eine eisige Flüssigkeit in den Eingeweiden ausgebreitet.
    »Aber einer muss ja die Arbeit machen.«
    »Eben«, sagte Irja erneut, und ich fragte mich noch erschrockener als zuvor, ob sie beleidigt oder voller Kummer war oder sonstwie in der Klemme steckte, aber dann stand sie auf, goss Kaffee ein und brachte die Marienkäfertasse ihrem Mann, und ich konnte eine Weile meine Gedanken sortieren und der Reihe nach ordnen und war dankbar dafür, ich hatte das Gefühl, aus rohen Eiern etwas Ganzes und Dauerhaftes zusammensetzen zu müssen. Darum versuchte ich mich auf das pure Dasein zu konzentrieren, was letztlich gar nicht so schrecklich schwer war, man musste nur auf das Puh und Höh der Kaffeemaschine und das Ticken der Wurzeluhren lauschen; nach den Teller-Chronografen von vorhin kamen die einem geradezu heimelig vor, auch wenn sie natürlich nach wie vor schauderhaft hässlich waren. Auch dieser hässliche Gedanke kam mir also, und das war sogar ein bisschen amüsant, jetzt, da ich wusste, was Irja selbst von den Uhren hielt; andererseits überlegte ich mir selbstredend auch, ob sie unter ihnen irgendwie litt, ob sie bei ihr Beklemmung auslösten, zumal die Stimmung ohnehin ein bisschen angespannt war.
    Dann tauchte Irja völlig lautlos hinter meinem Rücken in der Küche auf. Während sie Kaffee eingoss, murmelte sie etwas von wegen ein guter Mann sei er trotz allem. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, worauf sie anspielte. Dann machte sich abrupt das Verständnis wie ein großer, gespenstischer Unterwasserschatten breit. »Ganz bestimmt!«, rief ich daraufhin mit so unnötigem Eifer aus, dass es mir in meinen eigenen Ohren wehtat.
    Irja reagierte jedoch in keiner Weise auf den Schuss übers Ziel hinaus, sondern setzte sich, trank einen Schluck Kaffee, schaute aus dem Fenster und sagte: »Zum Glück weiß er nicht, wie man trinkt. Die meisten seiner Kollegen sind seit Freitag mit vollen Segeln unterwegs und rufen alle halbe Stunde an aus irgendwelchen Kneipen, die ›Auf gut Glück!‹ oder so ähnlich heißen, und reden auf ihn ein, er soll ihnen Gesellschaft leisten.«
    Ich musste erst die Dauer der Schlucksträhne bemessen und kam zu dem Ergebnis, dass sie noch relativ kurz war, soweit ich es beurteilen konnte, aber mehrere Wochen beurlaubte Sauferei wären schon was anderes, und aus irgendeinem Grund wollte ich dieses bedrohliche Szenario überstürzt in Worte kleiden, doch schon im nächsten Moment knickte ich ein und suchte dafür eine

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