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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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bemerken und schmatzte, als setze er zu einer längeren Rede an, sagte dann aber bloß: »Ja, ja, das ist das Mädchen von der Sozialstation, Entschuldigung, der Wind hat den Namen schon verweht, Entschuldigung.« Seine Bitten um Entschuldigung waren schwer zu interpretieren, also wen er eigentlich darum bat, aber er meinte es eindeutig ernst, und für einen Moment sah er schrecklich traurig aus, sein Gesicht knitterte noch mehr und wurde um den Mund herum quasi abgeschnürt, und schreckensstarr rechnete ich bereits damit, er werde gleich anfangen zu weinen. Dann wurde plötzlich wieder ein Schalter umgelegt, er fuhr in Zeitlupe den Arm aus, deutete auf die Frau und sagte: »Das hier ist meine Tochter.«
    Nun hatte ich es eilig zu erzählen, ich heiße Irma und sei ganz und gar kein Mädchen von der Sozialstation, auch wenn Herr Hätilä das irrtümlicherweise behaupte. Dann hatte ich plötzlich wieder den Mund dermaßen voller Dinge, dass gar nichts mehr herauskommen wollte, ich wollte unbedingt etwas erklären, egal was, nur um der Urteilsschlinge der großen Frau zu entrinnen, wollte einfach vernünftig und sachlich erklären, weshalb ich da war, in einer Forschungsangelegenheit, das dauert nur einen Moment, im Grunde sind wir schon sogut wie fertig, vielen Dank auch. Aber bis zum Mund gelangte all das schön Beabsichtigte einfach nicht, es war mehr ein wildes Räuspern, was da kam; mir schien, als läge den Worten etwas furchtbar Trockenes und Widerborstiges im Weg, Glaswolle oder Tang.
    »Was sind Sie denn für eine«, stellte die Tochter schließlich mehr fest, als sie es fragte.
    Es gelang mir, etwas von Umfrageforschung zu schwatzen. »Ich forsche beziehungsweise frage. Nach dem Verbrauch. Nach Verbrauchsgewohnheiten. Fragen. Umfrage. Marktforschung.«
    »So, so«, sagte sie selbstzufrieden und irgendwie fast triumphierend düster, riss einen Stuhl an sich und setzte sich an den Tisch. »Der da verbraucht nichts, fragen Sie mich.«
    Entsetzt sah ich in das zugleich eckige wie runde Gesicht, unter dessen quasi dunkelblasser Haut ein rotes Feuer loderte. Sie war wohl so etwas wie ein widersprüchlicher Mensch, diese Frau, aber mir blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn irgendetwas musste ich sagen. »Ja, äh«, lautmalte ich. »Als Erstes müsste so etwas wie eine Zielgruppenkartierung vorgenommen werden, einfach damit. Weil. Man braucht. Eine Zielgruppenkartierung.«
    »Nun fragen Sie schon.«
    »Morgenstund und schon geht’s rund«, sagte Herr Hätilä.
    »Quatsch«, fuhr die Frau ihn an.
    »Doch«, sagte Hätilä. »Rund.« Zum Abschluss seines etwas rätselhaften Redebeitrags schaute er wieder weit in die Ferne, mit einem Blick, der zu sagen schien, dass Sterbliche dort, in der Ferne, wo immer dies auch war, nichts zu suchen hatten. Falls es sich nicht darum handelte, dass gerade dieSterblichen, gewissermaßen die sozusagen hier und jetzt im Sterben Liegenden ständig etwas sahen, das uns, die wir noch mit einem Bein wacklig im Leben standen, nicht zugänglich war.
    Der Kühlschrank hinter dem Alten gab ein kurzes Rumpeln von sich, stieß ein langes, pferdeartiges Prrr aus und sirrte dann weiter vor sich hin. Ich sagte »ja, also« und fuhr nach einer kurzen kunst- oder atempausenartigen Unterbrechung fort: »Das ist jetzt ein bisschen schwierig, man müsste mit den ganz grundlegenden Informationen anfangen, mit der Geburt der Kundin, also wann und wo.«
    »In der Hebammenschule in Helsinki am fünften September neunundfünfzig«, kam es wie aus der Pistole geschossen. Abgesehen von dem quasi tiefgekühlten Blick sah die Frau beinahe glücklich aus.
    »Das ist ja fast ein Gedicht!«, bellte der Alte plötzlich, worauf er mit recyclingpapierhafter Raschelstimme fortfuhr: »Morgenstund und es geht rund. Morgen, rund und bunt.«
    »Also, ich weiß nicht recht, vielleicht machen wir beim nächsten Mal weiter, ich bin bald mit dem nächsten Kunden verabredet, eigentlich müsste ich gehen, und Sie haben bestimmt auch. Alles Mögliche zu tun.«
    »Morgenschlund!«
    Die Frau sah mich auf eine Art an, die pure, glühende Peinlichkeit auslöste. Ich musste wegsehen, dabei fiel mein Blick auf die Uhrenwand, die in sonderbarem Gewöhnlichkeitskontrast zu all dem Hippiekitsch stand, der die Küche dominierte. Ich starrte auf einen Teller, in dessen Mitte zwei erstarrte Zeiger aus der Insel Zypern ragten wie zwei nicht zueinanderpassende Schnurrbarthälften. Gemeinsam behauptetensie, es wäre zehn vor vier;

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