Der Tag der roten Nase
Wohnzimmer saß der Hausherr mit der Fernbedienung in der Hand auf der Couch und starrte mit erschreckender Intensität auf den dunklen Fernsehschirm. Beide taten mir leid.
An der Tür umarmten wir uns. Das geschah ganz selbstverständlich, ohne bemühte Choreografie, so wie unter Freunden oder mindestens guten Bekannten.
Draußen setzte bereits die Dämmerung ein. Der Regen des alten Hätilä war dichter und düsterer geworden und verwandelte sich in Schneeregen, als ich den Parkplatz überquerte. Die Nase tat mir weh. Auf dem kleinen Rasenfleck zwischen Autos und Häusern wuchs die weiße Überzuckerung. Während ich geduckt zur Straße rannte, kam mir kein Mensch entgegen, aber als ich zur Bushaltestelle gelangte, fläzte dort eine Abteilung von drei gelangweilten Teenagern. Als sie kapierten, dass sie erwachsene Gesellschaft bekommen hatten, gingen sie dazu über, heftig an ihren Zigaretten zu ziehen, ständig auszuspucken und Scheiße zu sagen. Sofort kam mir in den Sinn, dass es zum Glück außer all den Siezern mit den guten Manieren auch noch echte Jugendliche gab.
Ich stemmte mich gegen den Schneeregen und stapfte weiter, bei dem Wetter dauerte es, aber schließlich erreichte ich den Bahnhof. Wie ein Stein blieb ich mitten im Menschenstrom stehen, rechts und links huschte das Volk an mir vorbei, auf Mützen, Schultern, Schals und Wimpern lagen schwere, nasse Schneeregenspäne. Im Eingang zu einer Art Kneipe zog ein fassrunder Trunkenbold an einer feuchten Zigarette und fing immer wieder an, die Passanten zu zählen. Bei zehn gerieten ihm jedes Mal die Zahlen durcheinander und er musstevon vorne beginnen. Seine frustrierten Flüche schnarrten im Schneeregen wie die aus Pappe gebastelten Krachmacher, die von Jungen, jedenfalls als mein Sohn noch klein war, zwischen die Fahrradspeichen gesteckt wurden, um ein Motorgeräusch zu simulieren.
Ich zockelte ein Stück weiter und betrachtete dann das prächtige Bahnhofsgebäude aus Holz, ja, es war ein Eisenbahnhof, ich hatte ihn früher nur nicht bemerkt, so unmittelbar neben den Bussteigen. Oder ich hatte ihn auf irgendeiner Bewusstseinsebene registriert, es konnte gar nicht anders sein, aber vielleicht hatte ich irgendwie gedacht, die fahren da in die andere Richtung oder so, die Züge. Und auch diesmal ging ich zum Bus.
Zehn Minuten lang fror ich auf dem zugigen Bussteig und hatte ein unklares Gefühl, ein leeres Unwohlsein. Von der grässlichen Frau und dem Unglück der Jokipaltios war ein kraftloser Unmut über die Ungerechtigkeit der Welt in mir zurückgeblieben, und vor meinen Augen zuckte der gleiche traurige Schatten, den ich an der Wohnungstür auf Irjas Gesicht bemerkt hatte. Als ich im Bus saß, schlief ich fast sofort ein, trotz all der überschäumenden Schüler, die das Fahrzeug mit ihrer Unruhe und dem Muff ihrer feuchten Kleider erfüllten. Gerade noch rechtzeitig vor meiner Haltestelle wachte ich auf, weil die Nase in der Kurve auf der Hämeentie schmerzhaft gegen die Fensterscheibe stieß.
Auf der Straße stachelte mir der Regen hart und eisig ins Gesicht, aber es war nur Wasser, hier in Helsinki herrschte eine andere Jahreszeit. Plötzlich kam mir die Gegend rund um den Hakaniemi-Markt ein bisschen hässlich vor, die Menschen waren schwerfälliger hier, schlecht gelaunt, selbst diePenner schienen es eilig zu haben. Unter der Markise eines Geldautomaten stieß mir der Kerl mit dem Stock, der aussah wie ein Wichtelmännchen und den ich kannte, seinen Ellbogen in die Seite, pumpte mich nicht einmal um Geld an, sondern knuffte mich nur und gab ein paar undeutliche Verwünschungen von sich. Ich floh auf den Bürgersteig, stieß dort sogleich auf die filmtaugliche Bürodame aus der Viherniemenkatu und musste mit einem Sprung hinter einen schmächtigen, vom Regen glitschigen Lindenstamm Deckung suchen. Die Frau putzte ihre Brille und hätte mich wahrscheinlich ohnehin nicht bemerkt, selbst wenn ich sie am Ärmel gezupft hätte.
Ich beeilte mich, nach Hause zu kommen. Regentropfen, einzelne Ahornblätter und eine schmutzige Obsttüte schlugen mir ins Gesicht. Vom Schlafen im Bus hatte ich einen unfreundlichen Belag im Mund, darum machte ich einen Abstecher in den R-Kiosk, um mir Kaugummi zu kaufen. Die Schlange ließ an die Hungerjahre denken, aber ich wagte es nicht, den Rückzug anzutreten, weil sich sofort hinter mir Volk angestaut hatte.
Als ich schließlich bei der Kasse anlangte, fragte mich die Verkäuferin, die wie eine Gymnasiastin
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