Der Tag der roten Nase
Polizei in Kerava Meldungen von Bürgern eingegangen, die Opfer einer vorgetäuschten Marktforschung
wurden.
Unter dem Vorwand, eine Haushaltsbefragung durchzuführen, klingelte die Frau an den Türen von Privatwohnungen. Die Polizei betont, dass derzeit kein Marktforschungsinstitut Erhebungen in Kerava und Umgebung durchführt.
Die Motive der Fragerin sind vorläufig unklar. Die Frau wird als mittelgroß und mittleren Alters beschrieben. In den Wohnungen hat sie sich, soweit
bekannt, korrekt verhalten, und es ist nichts gestohlen worden. Dennoch werden alle Personen, die etwas über die Frau wissen, gebeten, sich mit der
Polizei in Kerava in Verbindung zu setzen.
Schocksteif und zugleich krumm gebogen starrte ich auf die Zeitung. Ein Windstoß blätterte die Seiten von rechts nach links.
Ich hob die Zeitung auf, klemmte sie wieder unter den Arm und eilte über die Straße zum Auto. Schlotternd kramte ich den Schlüssel aus der Handtasche und stocherte damit gegen das Schloss. Beim ersten Mal traf ich daneben, worauf strahlenförmige Kratzer auf dem moosgrünen Blech entstanden, und auch wenn diese an der vom Rost geschändeten Kiste keinen nennenswerten Schaden anrichteten, so verursachte das metallische Kratzgeräusch doch einen schneidenden Schmerz in meinen Zähnen, wie von einer Gabel, die absichtlich quietschend über einen Teller gezogen wird. Als ich endlich den Schlüssel ins Schloss gemurkst hatte, ließ er sichin keine Richtung drehen, und erst nachdem ich in meiner Nervosität eine Zeitlang gegen das Fenster gehämmert hatte, kam ich auf die Idee, um das Auto herumzugehen und an der blauen Tür einzusteigen.
Mit der Handtasche und der Zeitung unterm Arm ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen. Die Tür klappte müde zu und dann hörte man einige Zeit lediglich ein irgendwie gelangweiltes, aus dem Schlaf gerissenes Knarren im Bodenbereich des Fahrzeugs. Die Stadt ringsum war zu sehen, aber nicht zu hören. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, dass sich das kleine Auto trotz der gefühlten Stille rasch mit Rasselatem und Herzhämmern füllte. Dann sprang in der Bucht lärmend ein Boot an, und kurz darauf teilte ein kleiner Außenborder die glatte Wasseroberfläche und fuhr in Richtung offenes Meer, als wollte es vor dem Eis fliehen.
Dann fiel mir die grässliche Zeitung wieder ins Auge und löste einen kraftlosen Rappel aus, von dem sich unmöglich sagen ließ, ob es nun Hass oder Verzweiflung oder sonst was war. Ich versuchte die Zeitung auf den Boden zu schleudern, aber der Fußraum war so eng, dass das Blatt auf meinem Schoß liegen blieb. Dort zerdrückte ich sie ein bisschen. Vor der Windschutzscheibe, durch die sich ein Sprung zog, tauchte ein Mann mit Mütze auf, der, seinem schadensdurstigen Blick nach zu schließen, gern stehen geblieben wäre, um noch ein bisschen zu gaffen, aber zum Glück besaß die Kreatur, die er an der Leine führte, einen stärkeren Willen als er.
Ich konnte nichts tun, ich konnte nichts tun, ich konnte nichts tun. Ich musste etwas tun. Ich musste. Natürlich konnte ich nicht ganz Kerava von der Zeitung befreien, aber Irja durfte ich sie nicht lesen lassen, nein, auf keinen Fall, wo dochihr Mann beurlaubt war, ihr durfte nicht noch mehr aufgebürdet werden, nein, das wäre zu viel, wenn sie plötzlich erführe, dass eine, nun ja, Schwindlerin bei ihnen ihr Unwesen getrieben hat. Durch so etwas fühlte man sich schutzlos, wo doch ohnehin schon genug Unsicherheit bei ihnen herrschte. Und Streit. Was, wenn der Mann Irja das alles zum Vorwurf machte? Dass sie alles zwielichtige Volk der Welt bei sich bemutterte?
Nein, das konnte man ihnen nicht antun. Ich schlängelte mich auf den Fahrersitz und in meiner Not gerieten dabei die fehlenden zwanzig Jahre Fahrpraxis wie auch meine ziemlich verkehrssicherheitswidrige Erregung in Vergessenheit, mir fiel nicht einmal der schnurrbärtige Fahrlehrer von anno dazumal ein, der in einem fort vorm Fahren in betrunkenem wie in erregtem Zustand gewarnt und nie vergessen hatte zu betonen, das gilt besonders für euch Mädels, weil ihr Frauen euch so leicht aufregt. Auf jeden Fall hatte ich nun an eine Menge anderer Dinge zu denken als an alle möglichen verschwommenen Jugenderinnerungen, und fürs Erste beanspruchte natürlich besonders das Rutschen von einem Sitz zum anderen die Aufmerksamkeit, weil es in Mantel und Rock alles andere als leicht vonstattenging; der kapitale Wuchtungsvorgang erinnerte mich an ein
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