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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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und her zu schieben und noch einmal die Kaffeemaschine anzuwerfen; ich konnte einfach nicht still sitzen bleiben.
    So ging er dahin, der Tag, mit verzweifeltem Stehen, Sitzen, Aufspringen und Herumgehen. Ab und zu klingelte das Telefon, wegen meines Sohnes nahm ich jedes Mal ab, aber mein Sohn war nicht dran, einer hatte sich verwählt, der Zweite versuchte mir den ›Pferdenarren‹ anzudrehen und der Dritte erkundigte sich mit spöttischem Unterton nach meinen Konsumgewohnheiten; und dann war da noch der Hausverwalter, mit geschäftiger Stimme und einem unbrauchbaren Vorwand, er fragte: »Haben Sie einen Schlüssel verloren?«, und als ich dann energisch verneinend hinter den Vorhang schlich und nach draußen spähte, da stand er in seiner lächerlichen Grafenmontur mit dem Handy am Ohr im Hof und glotzte direkt auf mein Fenster.
    Ein Fiesling, dachte ich, was für ein Fiesling. Dann geschah jedoch ein kleines Wunder, und die bösen Gedanken lenkten mich wenigstens für zwei Sekunden von den Kriechtieren in meinem Kopf ab: Mir wurde bewusst, was für einen Riesenhunger ich hatte. Ich nahm Kohlsuppe aus dem Gefrierschrank und wärmte sie auf. Es wäre auch etwas anderes drinnen gewesen, im Gefrierschrank, aber ich hatte das Gefühl, jetzt eine Suppe zu brauchen, eine ordentliche, drei Mal aufgewärmte und dann eingefrorene Armeleutesuppe. Kampfsuppe.
    Sie schmeckte genauso wunderbar, wie so eine schlichte Suppe schmecken muss, und brachte mich momentweise sogarin kriegerische Stimmung, nach dem Motto: Euch werd ich’s noch zeigen. Aber nachdem ich meine Suppe gelöffelt hatte und wieder am Tisch saß und lange genug die Poren in der Wand von Eingang B in der Nachmittagsdämmerung angestarrt und Kaffee getrunken hatte und von zwei Tassen unruhig geworden war, trieb die Panik wieder ihr Unwesen in meinem Kopf. Da mir nichts Besseres einfiel, rief ich im Abstand von wenigen Minuten meinen Sohn an. Inzwischen wurde bereits regelmäßig und hartnäckig behauptet, die Nummer sei nicht vergeben. Irgendwann gegen acht legte ich mich ins Bett. Ich faltete die Hände auf der Brust und folgte mit dem Blick dem gekrümmten Riss in der Decke, der so getreu die südwestliche Küstenlinie Europas nachzeichnete, dass ich in einer schlaflosen Nacht schon einmal den Atlas hervorgeholt hatte. Ziemlich genau ringelte sich an der Decke die Locke von Antwerpen nach Lissabon. Eine ganz schöne Strecke.
    Dann nahm wieder das Telefon meine Aufmerksamkeit in Anspruch.
    Zuerst hielt ich das Surren für einen Anruf und wollte schon etwas in die kleinen Löcher brüllen, aber dann stellte sich heraus, dass es eine SMS war. Von Irja. Sie machte sich Gedanken wegen meines plötzlichen Aufbruchs am Vortag und erinnerte mich an das Fest bei den Jalkanens. Beim Antworten knacksten einige Tasten, andere gaben weiche Pff-Laute von sich, bloß das Knöpfchen mit der Vier knirschte, als würde es bald das Zeitliche segnen. Das Ergebnis bestand jedenfalls in einer Bitte um Entschuldigung für meinen plötzlichen Aufbruch, ich erklärte, ich hätte Kummer mit meinem Sohn, wobei ich den Kummer aus irgendeinem Grund mit Großbuchstaben schrieb, und zum Schluss merkte ich an, ichkäme natürlich zum Fest. Eine Gute Nacht passte auch noch in den Text.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, das Handy noch immer in der schlaffen Faust und in voller Montur, war es bereits hell. Zunächst fiel es mir schwer, die richtige Einstellung zu finden, zur eigenen Lage, fast unmöglich, bei uns war es nicht üblich, in Kleidung und mit dem Telefon in der Hand aufzuwachen. Das Mundinnere fühlte sich pelzig an, und auch das Gesicht war mit einer Art Maske überzogen.
    Immerhin begriff ich, dass zweifellos so etwas wie ein neuer Tag angebrochen war. Die Uhr zeigte bereits ein ordentliches Weilchen zu viel, im Moment des Ablesens ziemlich genau zwei, ein Wert, der mir in unerträglicher Exaktheit ins Bewusstsein sickerte, denn genauso spät war es bei meinem Besuch bei den Jokipaltios gewesen, irgendwann vor langer Zeit beziehungsweise tatsächlich erst vor Kurzem.
    Ich stürzte unter die Dusche, als wollte ich das Beschleunigungsphänomen illustrieren, und dann direkt weiter in saubere Kleidung, danach ohne Kaffee ins Treppenhaus und auf die Straße, und dann saß ich auch schon im Auto, mit Blick auf die Bucht, die langsam, bedrückend, irgendwie ursuppenartig die spärlichen nassen Schneeflocken schluckte, so wie man es in Natursendungen manchmal Zellen oder sonstige

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