Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
Vom Netzwerk:
den Kopf, ob manchen Männer wirklich so schnell ein Trauerbart wächst wie Ridge aus ›Reich und schön‹, dem im Lauf einer Werbeunterbrechung schon beim kleinsten Kummer Stoppeln gesprossen waren, aber ich kehrte dann doch in die Welt zurück und fragte ebenfalls, weil ich zu mehr nicht fähig war: »Was ist denn jetzt?«
    »Was ist denn jetzt?«, heulte nun auch Irja und schaute ihren Mann an und schien zu befürchten, er würde wieder schlimme Nachrichten überbringen.
    Dann hatten anscheinend alle das Ende ihrer Strapazierfähigkeit erreicht. Ich fasste Irja wieder an den Schultern und schrie, Sag’s mir endlich verflixt, Was denn, Na was wohl, Was denn, Was passiert ist, Ein Unfall, Aber was ist ihm passiert, Wem, Na Kalle wem denn sonst, Hat Irja das nicht erzählt, Eben nicht, Dann sag es ihr jetzt, Ach Gott ach Gott, Nun erzähl es ihr endlich, Erzähl’s ihr doch selbst, Kann es mir einer von euch jetzt endlich mal erzählen Herrje! Und so weiter und so weiter; jeder zerrte an jedem herum und schrie und kreischte und fuchtelte herum und fragte waswaswas, bis Herr Jokipaltio sich schließlich so weit im Griff hatte, dass es ihm gelang, die ganze Geschichte zu erzählen, nämlich dass einer von den jungen Leuten tatsächlich gestorben war, der Fahrer, dass es Kalle aber gut gehe, also den Umständen entsprechend, sie waren gute Freunde gewesen und die Familie gehörte zu den engeren Bekannten, wohnte hier ganz in der Nähe und –
    Seine Worte schienen in grauem Rauschen unterzugehen. Einem in Hellgrau.
    Nach einer sehr langen und in alle möglichen Richtungen gedehnten Pause breitete der Mann, der starr wie eine Statue neben mir gestanden hatte, mit maschineller Plötzlichkeit die Arme aus und schloss sie um die ebenso automatisch in diese Arme sinkende Irja. Da konnte man nichts Schlechtes mehr von ihm denken. Furchtbares Mitleid bekam ich, mit der ganzen Familie, es kam mir so unfair vor, da sie doch ohnehin schon allerhand Verdruss hatten, auch wenn ihr Kalle überlebt hatte, das war schon was, aber trotzdem. Gleichzeitig schämte ich mich für mein Geschrei und mein ungehobeltes Benehmen, ich fühlte mich miserabel, am liebsten hätte ich ihnengeholfen, aber wie, ich konnte einfach nichts tun, als stocksteif dazustehen und das Nikotinpflaster anzustarren, das sich an der Schulter des Mannes festgesaugt hatte und aussah, als wäre es bereits vor mehreren Werktagen dort angeklebt worden.
    Dann, als es den Anschein hatte, als hätten sie meine Anwesenheit vollkommen vergessen, riss ich mich in die Welt zurück und sagte: »Jetzt brauchen wir einen Kaffee.« Irja brachte ihren Kopf aus der Achsel ihres Mannes zum Vorschein und war vollkommen meiner Meinung.
    Der Kaffee wurde gekocht und getrunken. Reino kehrte in den Lichtschein des Fernsehers zurück, ich blieb in der Küche und passte auf, dass Irja mit allem fertigwurde. Sie wurde damit fertig, einigermaßen. Wir tranken noch mehr Kaffee, verdrückten ein paar Tränen, auch vor Freude, weil ihr Junge überlebt hatte, aber natürlich auch weil es bei seinem Freund böse ausgegangen war. Und wegen der Ungerechtigkeit der Welt. Als Irja dann behauptete, sie habe sich wieder einigermaßen gesammelt, und sich aufmachte, die Mutter des toten Jungen zu besuchen, hielt ich sie auf, äußerte Zweifel, ob es in ihrem Zustand klug sei, allein auf die Straße zu gehen, am Ende laufe sie noch in ein Gebüsch oder vor ein Auto. Aber obwohl die Drohung mit einem Autounfall in dieser Situation in keiner Weise angebracht war, schenkte Irja ihr keinerlei Beachtung, sie sagte bloß: »Ich muss da einfach hin, gucken, wie sie damit fertigwird«, und da war es natürlich schwer, zu widersprechen, da ich ja selbst praktisch in der gleichen Funktion am Tisch saß, und so blieb mir denn auch nichts anderes übrig, als ihr zur Tür zu folgen, obwohl ich mich vor dem fürchtete, was mich im Treppenhaus erwartete.
    Es war allerdings leer, das Treppenhaus. Rasch stiegen wir die schmutzige Treppe hinunter und standen wenig später auf dem Parkplatz neben dem Auto. Irja schüttelte ungläubig den Kopf, als sie die Kiste sah. Wattebauschgroße Schneeregenfetzen legten sich uns wie schmelzende Schmetterlinge auf die Stirn.
    Wir umarmten uns. Dann ging sie davon, die Handtasche fest umklammert und durchaus energisch, aber doch so angeschlagen, dass es wehtat. Innerhalb
     eines Tages war sie in sich zusammengesackt, und als ihr gebeugter Rücken zwischen den Bäumen verschwand,

Weitere Kostenlose Bücher